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Auch ein Waschbär kann sich irren

Auch ein Waschbär kann sich irren

Titel: Auch ein Waschbär kann sich irren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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ganzen Leben noch nie passiert.«
    Nun lächelte sie.
    »Vielleicht ist das eine... Alterserscheinung?«
    »Sicherlich«, nickte ich ernsthaft, »und mit zunehmendem Alter fängt man an, komplizierte Vorgänge zu vereinfachen. Wenn Bill von Ihnen sprach, dann klang das immer so, als ob ihr in den nächsten Tagen heiraten würdet. Hatte Bill einen Grund, das zu glauben? Haben Sie Bill so geliebt, wie er mich das glauben machen wollte?«
    Ein heller, ehrlicher Zorn stand in ihrem Gesicht. Ihre Augen waren ganz dunkel.
    »Was gibt Ihnen das Recht, so mit mir zu reden?«
    »Sie dürfen dreimal raten«, sagte ich, »aber bitte nicht jetzt gleich, sondern später, wenn ich weg bin.«
    Ich trank mein Glas aus, und Mary-Ann stand auf.
    »Ich fürchte«, sagte sie, »ich muß mich jetzt um den Haushalt kümmern. Unser Mädchen hat heute frei.«
    Ich blieb ruhig sitzen.
    »Es ist Sonntag«, sagte ich, »und ich kann heute nicht mehr viel unternehmen. Ich kann mich jetzt in meinen Wagen setzen und in der Gegend herumkutschieren und warten, daß dieser Tag vergeht. Ich könnte aber vielleicht auch — wenn’s Ihnen nichts ausmacht — noch ein bißchen hier sitzen bleiben. Ich glaube nicht, daß Ihr Haushalt zusammenbricht, wenn Sie ihn noch ein Stündchen warten lassen. Mögen Sie eigentlich Tiere gern?«
    Halb ärgerlich, halb lachend schüttelte sie den Kopf, setzte sich dann aber wieder.
    »Sie sind ein unmöglicher Mensch, Mr. Warner!«
    »Nach außen hin mag das so scheinen«, gab ich zu, »aber ich habe heute nacht entdeckt, daß in mir noch einige Reste von moralischen Qualitäten stecken. Man hat mir 100 000 Dollar geboten, wenn ich mich nicht mehr um Bill kümmere. Stellen Sie sich vor: 100 000 Dollar! Für einen Mann, der sein Leben lang nicht mehr als ein paar Hundert im Monat verdienen kann! Ich fragte Sie vorhin, ob Sie Tiere mögen?«
    »Ja, sehr«, sagte sie, von meinen Worten sichtlich beeindruckt, »ich hätte gern einen Hund oder ein Katze, aber Paps sagt, daß ihn Tiere nervös machen.«
    »Ich habe nämlich einen Waschbären«, sagte ich.
    Sie blickte mich ein bißchen verwirrt an, und ich schenkte mir das Glas wieder voll, wobei ich fortfuhr:
    »Ich habe noch nie in meinem Leben Kontakt mit Mensehen gefunden, die Tiere nicht mögen.«
    »Und ich nicht zu Menschen, die zuviel trinken.«
    Ich stellte mein Glas betroffen weg.
    »Wollen Sie damit sagen, daß ich...«
    »O nein!« unterbrach sie mich rasch, und in ihren Augen glitzerte es, »das hat Sie nicht betroffen. Ich denke nur, wir sind gerade dabei, Konversation zu machen.«
    Wir lachten beide, und plötzlich war es, als ob die gläserne Wand, die bisher zwischen uns gestanden hatte, verschwunden sei.
    »Ist ja alles Quatsch«, sagte ich. »Ich habe fürchterlichen Unsinn verzapft und werde darüber nachdenken, wie ich das wiedergutmachen kann. Ich habe jetzt noch einiges zu erledigen; vielleicht rufe ich heute abend Ihren Vater an. Auf Wiedersehen, Miss Lennox!«
    Sie war ebenfalls aufgestanden, und wir gaben uns die Hand.
    »Auf Wiedersehen, Mr. Warner.«
    Ich wandte mich zum Gehen und hoffte, sie würde mich bis zum Gartentor begleiten. Aber sie blieb stehen, und ich ging allein über den Rasen und widerstand der Versuchung, mich noch einmal umzudrehen.
    Ich hatte schon fast die Jasminbüsche erreicht, als ich Mary-Ann rufen hörte:
    »Mr. Warner! Hallo, Mr. Warner!«
    Ich blieb stehen. Mary-Ann kam über den Rasen gelaufen.
    »Ich wollte... ich wollte nur... ich meine, Paps wird spätestens um 2 Uhr zurück sein, und wenn Sie lieber vorher noch mit ihm sprechen wollen, ehe Sie etwas unternehmen, ich... Sie könnten natürlich gern hier auf ihn warten.«
    In ihrem Blick war keine Abwehr mehr. Jedes andere Mädchen hätte ich nun in den Arm genommen und geküßt, aber bei Mary-Ann konnte ich es nicht.
    »Das läßt sich nicht aufschieben«, versicherte ich, »aber wenn ich Zeit habe, komme ich selbst noch mal vorbei. Darf ich?«
    Sie nickte nur. Ich ging langsam zu meinem Wagen, der in der Sonne stand und so heiß war, daß ich mich an den Lederpolstern beinahe verbrannte. Ich klappte das Verdeck hoch, kurbelte alle Fenster herunter und fuhr langsam davon. Ich stellte das Radio an und hörte Dinah Hills weiche, einschmeichelnde Stimme singen:
»Es ist so einfach, zu lieben!
Die kleinen Mäuschen tun’s,
und die wilden Krokodile tun’s,
und die Bienen tun’s,
und die Pferde auf der Weide.
Und die langsamen Schnecken tun’s
    und die flinken

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