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Auch ein Waschbär kann sich irren

Auch ein Waschbär kann sich irren

Titel: Auch ein Waschbär kann sich irren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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beschreiben können! Da ich sonst ein ausgezeichnetes Gedächtnis für Menschen besitze, war mir das neu, und ich brannte nun doppelt darauf, Mary-Ann zu sehen.
    Diesmal kletterte ich nicht in den Jasminsträuchern herum, sondern ging gleich zur Terrasse, die noch im Schatten lag. Da ich niemanden entdeckte, rief ich einige Male laut Hallo, was sicherlich nicht ganz korrekt war.
    An einem der oberen Fenster erschien ein blonder Kopf, und im selben Augenblick war mir unverständlich, daß ich mich noch vor wenigen Minuten an dieses Gesicht nicht mehr hatte erinnern können. Jetzt war es mir so, als würde ich Mary-Ann seit Jahren kennen.
    »Guten Morgen«, rief ich hinauf. »Kann ich den Colonel sprechen?«
    »Paps ist nicht da«, sagte sie. Das klang mir wie himmlische Musik im Ohr. »Er ist heute schon um halb sieben weggefahren. Einen Augenblick, bitte, ich komm’ gleich hinunter!«
    Der Augenblick dauerte ziemlich lange, und als Mary-Ann erschien, hatte sie nicht mehr wie vorhin eine rote Bluse an, sondern sie kam in einem hellgrauen Leinenkostüm. Sie gab mir die Hand und sagte:
    »Ist es sehr dringend? Ich könnte Paps vielleicht telefonisch...«
    »Nein, nein!« sagte ich rasch, »so dringend ist’s auch wieder nicht. Obwohl sich einiges ereignet hat.«
    Ich setzte mich in den gleichen Korbsessel wie gestern, und Mary-Ann saß mir gegenüber. Ihre Augen waren genauso blau wie gestern.
    »Was hat sich ereignet?« fragte sie. »Ist es etwas Schlimmes?«
    Ich erzählte ihr von den Inseraten, von Glorys Nachricht und von Martons Besuch gestern abend, wobei ich jedoch die 100 000 Dollar nicht erwähnte. Zum Schluß gab ich ihr den Brief, weniger, daß sie ihn lesen sollte, als um Gelegenheit zu haben, ihre Finger zu berühren. Als sie aber den Brief nahm, gab ich ihn ihr doch so, daß sich unsere Finger nicht berührten.
    Sie las den Brief und reichte ihn mir zurück.
    »Ich habe über alles nachgedacht«, sagte sie, »und Paps hat mir erzählt, was gestern mit der Polizei passiert ist. Paps meint, die Polizei wisse nun Bescheid, und es wäre vielleicht besser, wenn Sie... wenn Sie...«
    »...wenn ich die Finger davon lassen würde? Das meinte Marton gestern abend auch, und gerade deshalb werde ich es nicht tun.«
    »J — ja, aber...«, sagte sie zögernd, »aber das ist doch — gefährlich?«
    »Klar«, antwortete ich, »klar ist das gefährlich! Aber was macht das schon? Irgend etwas muß man ja tun, und bei mir ist das anders — ich meine, wenn ich mal ins Gras beiße, dann weint mir niemand nach.«
    Sie blickte mich erschrocken an, und dann bildete sich eine kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen.
    »So was sollten Sie gar nicht sagen, Mr. Warner. Oh! — Entschuldigen Sie, ich bin eine schlechte Hausfrau!«
    Sie stand rasch auf, verschwand im Haus, und als sie wiederkam, brachte sie die Kühlbox und zwei Gläser mit.
    »Whisky, glaube ich?« fragte sie.
    Ich nickte ihr lächelnd zu, nahm ihr die Flasche aus der Hand, und diesmal berührten sich unsere Hände.
    Ich schenkte ein, wir tranken, und dann sagte ich: »Ich möchte gern, daß Sie Ihre Ansicht über mich ändern.«
    Sie wurde ein bißchen rot, kaum merkbar, und um ihren Mund zuckte ein winziges Lächeln, das sofort wieder verschwand.
    »Ich würde mir nie erlauben«, sagte sie, »mir nach so kurzer Zeit ein Urteil über einen Menschen zu bilden.«
    »Sie haben aber schon eins, und ich fürchte, daß es nicht ganz richtig ist. Hat Ihnen Bill erzählt, daß ich verheiratet war?«
    »Nein«, sagte sie, und ich spürte die leise Abwehr.
    »Es ging uns furchtbar dreckig«, fuhr ich fort, »und nicht jeder Mensch kann das aushalten. Seit ich mich vor vielen Jahren von Shirley trennte, lebe ich droben an einem einsamen See in einem kleinen Holzhaus.«
    Die Abwehr in ihrem Blick war nun nicht mehr zu übersehen.
    »Warum erzählen Sie mir das, Mr. Warner. Sie haben mir doch schon gesagt, daß Mädchen für Sie zum Leben genauso wichtig sind wie Whisky und Zigaretten, aber das geht mich alles gar nichts an. Wollen wir nicht lieber das Thema wechseln?«
    »Ich bin kein gewandter Plauderer, Miss Lennox. Und ich bin immer froh, wenn ich überhaupt ein Thema gefunden habe.«
    Ich trank mein Glas aus und schaute Mary-Ann fragend an.
    »Darf ich mir noch mal einschenken?«
    »Nur, wenn Sie von etwas anderem sprechen.«
    Ich schenkte mir ein.
    »Also gut, Miss Lennox, ich habe, als ich hierherfuhr, nicht mehr gewußt, wie Sie aussehen. Das ist mir in meinem

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