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Auch ein Waschbär kann sich irren

Auch ein Waschbär kann sich irren

Titel: Auch ein Waschbär kann sich irren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Sonne schien hell, und die Vögel zwitscherten in den Bäumen.
    »Ja, ja«, sagte ich und rieb mir die Augen, »ja, ja — ich wohne dort drüben.«
    »Wir haben nämlich unten ein Zelt«, sagte der Junge, »aber Mammi hat die Milch vergessen, und Pappi ist wütend, und da hat Mammi gesagt, ich soll sehen, ob ich Ihnen vielleicht eine Büchse abkaufen kann.«
    »Komm mal mit«, sagte ich.
    Er trippelte neben mir her zum Haus. Ich gab ihm die Flasche mit dem Rest Whisky und sagte:
    »Milch hab’ ich keine, aber bring das deinem Papa und sag ihm einen schönen Gruß von mir, an einem solchen Sonntagmorgen ist das besser als Milch.«
    »Da ist das Geld«, sagte der Junge und drückte mir 20 Cents in die Hand.
    »Kauf dir ein Eis dafür! Und jetzt laß deinen Papa nicht solange warten!«
    Er klemmte sich die Flasche unter den Arm, ging zwei Schritte, drehte sich um, zog einen Revolver aus dem Halfter, zielte auf mich und schoß mir einen Wasserstrahl haargenau ins Gesicht. Ohne mit der Wimper zu zucken, machte er kehrt und hüpfte zum See hinunter. Merkwürdig, daß Männer das Schießen nicht lassen können!
    Ich zog mich aus, ließ Sancho Pansa aus seinem Käfig, und dann paddelten wir beide eine Weile im Bach herum. Es war ein prachtvoller, blaugoldener Morgen, und ich war froh, daß es mich noch gab.
    Ich nahm eine Kanne voll Wasser mit, machte Feuer im Ofen, kochte mir einen starken Kaffee und frühstückte draußen vor meinem Haus.
    Nach dem Frühstück schaute ich nach den Rotkehlchen im Holzstoß und sah vier gelbe Schnäbelchen, weit aufgerissen wie blühende Krokusse. Sancho Pansa trippelte aufgeregt an dem engmaschigen Gitter entlang, kletterte daran hoch und probierte, ob er nicht von oben hineinkommen könne. Ihm gefielen die kleinen Vögelchen genauso gut wie mir, wenn er sich auch bestimmt etwas anderes dabei dachte. Er war ja nicht nur Vegetarier, und ich hatte ihm schon lange kein Stückchen Fleisch mehr mitgebracht.
    Ich sperrte ihn ein, und dann machte ich, was ich schon lange nicht mehr getan hatte: einen kurzen, scharfen Lauf durch den Wald. Hazlitt hatte recht: man sollte in Form bleiben.
    Eine halbe Stunde später hatte ich Alkohol und Nikotin ausgeschwitzt. Ich badete nochmals, rasierte mich, zog meinen besten Anzug an, verriegelte mein Haus und fuhr stadteinwärts.
    Um 9.30 Uhr war ich auf dem Postamt in Burbank und holte mir Glorys postlagernden Brief ab. Ich setzte mich damit in meinen Wagen, zündete mir eine Zigarette an und las, was Glory mir schrieb:

    »Lieber Jimmy,
    die fraglichen Inserate wurden alle von einem gewissen Oliver Marton aufgegeben. Wer die eingehenden Briefe abgeholt hat, kann ich nicht feststellen. Es sieht so aus, als ob überhaupt nie Briefe eingegangen wären, aber das kann wohl nicht stimmen, und ich werde es nochmals überprüfen. Vielleicht interessiert es Dich aber auch, daß O. M. bei uns noch viel mehr Anzeigen aufgegeben hat, jede Woche ein paar. Wenn Du willst, kann ich Dir am Montag noch mehr ‘raussuchen, aber das würde Dich natürlich wieder mindestens zwei Eiscremes kosten. Bist Du mit mir zufrieden? Hast Du nicht mal gelegentlich ein bißchen mehr Zeit für mich? Herzlichst
    Deine Glory«

    Da wäre nun endlich einmal etwas Positives gewesen, aber es nutzte mir nichts mehr. Ich Dummkopf hatte Marton laufen lassen!
    Mein erster Gedanke war nun, zu June zu fahren. Sie würde vernünftig genug sein und Glory keine Schererei machen. Wir konnten sämtliche Inserate heraussuchen und würden dadurch womöglich zu einem klaren Überblick kommen und wissen, was da nun eigentlich gespielt wurde.
    Ich rief June an, aber sie meldete sich nicht. Natürlich, sie hatte sich ja gestern abend mit ihrem Freund verabredet, und wahrscheinlich würde sie nicht vor heute abend zurückkommen.
    Hazlitt wollte ich auch nicht besuchen, dazu schien mir diese Entdeckung noch nicht wichtig genug. Schließlich war ich froh, daß ich das tun konnte, was ich von Anfang an vorhatte: nämlich zu Lennox nach Westwood fahren. Strenggenommen ging es mir auch gar nicht darum, dem Colonel mein Herz auszuschütten, aber was ich wußte, war immerhin ein handfester Vorwand, Mary-Ann wiederzusehen.
    Auf dem Wege nach Westwood dachte ich eigentlich nur an Mary-Ann und machte die überraschende Entdeckung, daß ich zwar eine sehr genaue Vorstellung von ihr hatte, die sich aber sofort verflüchtigte, sobald ich in Details gehen wollte. Ich wußte ganz genau, wie sie aussah, aber ich hätte es nicht

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