Auch ein Waschbär kann sich irren
ist alles. Übrigens, ich dachte, Sie hätten keine Waffe?«
Er zog sein Hosenbein hoch. Unter seinem Knie hing jetzt ein Streifen Leukoplast, mit dem er jetzt die Pistole wieder befestigte.
»Man muß mit allem rechnen«, sagte er. »Aber für Sie bin ich unbewaffnet. Ich muß jetzt gehen. Überlegen Sie gut, welchen Weg Sie wählen! Beide, der nach Chikago und der andere, sind geeignet, Ihre Sorgen mit einem Schlage zu beenden — nur ist der eine für Sie wahrscheinlich angenehmer.«
Er stand auf, und ich erhob mich ebenfalls.
»Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen«, sagte ich, »und ich finde es reizend von Ihnen, daß Sie sich mit mir solche Mühe gegeben haben. Tun Sie das von sich aus, oder hat man Sie dazu beauftragt?«
»Das Honorar für diese Unterredung«, erklärte er, »betrug fünfhundert Dollar. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, was ein guter Anwalt für viel schlechtere Ratschläge erhält. Leben Sie wohl, Mr. Warner, und vergessen Sie nicht, daß allzu kluge Leute selten alt werden!«
Ich brachte ihn hinaus.
»Ach ja«, sagte er und griff in seine Jackentasche, »ich möchte in Ihren Augen nicht als ein Dieb erscheinen. Hier sind die Fotos zurück. Als ich sie mir holte, wußte ich noch nicht, daß die Entwicklung der Dinge so rapide fortschreiten würde. Diese Stewardeß war übrigens ein netter Käfer, finden Sie nicht?«
Er drückte mir meine Aufnahmen in die Hand, dann schaute er sich vor der Haustür ängstlich um.
»Es ist niemand da«, sagte ich. »Ich bin allein hier oben.«
Er rieb sich seine Ferse und sagte lachend:
»Das hab’ ich gemerkt.«
Ich blickte ihm nach, bis er im Walde verschwunden war, und dann blieb ich noch stehen, bis ich seine Schritte nicht mehr hörte.
Ich holte die beiden Flaschen Whisky und den Revolver aus meinem Wagen, pfiff Sancho Pansa, der wieder einmal patschnaß vom Bach herüberkam, und zog meine Jacke aus. Dann streifte ich die Schuhe ab, schenkte mir ein Glas gestrichen voll, legte die Füße auf den Tisch und zündete mir eine Zigarette an. So vorbereitet, fing ich an, nachzudenken.
100 000 Dollar sind für einen Mann wie mich sehr viel Geld. Nie in meinem Leben werde ich mit meiner Arbeit 100 000 Dollar auf einmal verdienen können! Mit 100 000 Dollar konnte ich mir irgendwo ein hübsches Häuschen kaufen, das nicht so einsam lag wie dieses hier, und ich hätte endlich einmal das tun können, was ich schon immer tun wollte: mich hinsetzen und in Ruhe ein paar Bücher schreiben. Wenn ich monatlich 1000 Dollar ausgab, hätte das Geld mit Zinsen für mehr als zehn Jahre gereicht!
Bill war tot — was hatte er davon, wenn ich wußte, wie er gestorben war? Es konnte ihm ja nichts mehr nützen, und was gingen mich Dinge an, die eigentlich Sache der Polizei waren? Wenn Judas seinen Herrn für 30 Silberlinge verkaufte, so war das etwas anderes; denn dieser Herr lebte ja noch! Aber Bill war tot, und 100 000 Dollar waren mehr als 30 Silberlinge!
Das erste Glas war leer. Ich goß mir das zweite ein, und beim dritten stand ich auf und schaute in den Spiegel, der zwischen den beiden Fenstern hing. Ich sah ein Gesicht, das sich in keiner Weise von Millionen anderen Gesichtern unterschied. Es war nicht besser und nicht schlechter als alle anderen Gesichter, die ich kannte.
»Jimmy!« sagte ich, »zweiundvierzig Jahre lang hast du in den Spiegel schauen können. Sind hunderttausend Dollar genug Geld, daß du für den Rest deines Lebens auf diesen Anblick verzichten kannst?«
Ich trank meinen Whisky aus, brachte Sancho Pansa in sein Gehege, und da ich keine Lust hatte, vielleicht schon heute nacht in die Ewigen Jagdgründe befördert zu werden, spannte ich mir 100 Schritte vom Haus entfernt die Hängematte zwischen zwei Bäume, wickelte mich in eine Decke und schlief beruhigt ein.
Der Sturm wurde immer schlimmer, und das Schiff, auf dem ich fuhr, schaukelte so entsetzlich, daß ich mich krampfhaft festhalten mußte, um nicht über Bord zu gehen. Wir waren kurz vor dem Untergang! Ich krallte mich mit aller Kraft an der Reling fest, das Schiff holte noch einmal fürchterlich über, und dann — wachte ich auf. Meine Hängematte schaukelte mindestens ebenso stark wie das Schiff, und ehe ich noch ganz zu mir gekommen war, hörte ich eine helle Stimme:
»Guten Morgen, Onkel. Wohnst du dort in dem Haus?«
Ein kleiner Junge mit Cowboyhut, Cowboyhosen und zwei mächtigen Revolvern stand am Ende der Hängematte, wo er den Sturm inszeniert hatte. Die
Weitere Kostenlose Bücher