Auch Engel Moegens Heiss
gemeinsam Hygieneartikel gekauft. Außerdem hat Chief Russo am Sonntag in der Kirche neben ihr gesessen.«
»Dann muss es was Ernstes sein.« Er klang heiser und räusperte sich übertrieben. »Mich kitzelt was im Hals.«
Nadine wühlte ein Hustenbonbon aus ihrer Schublade und
reichte es ihm. »Ich würde sagen, wenn er mit ihr zusammen in die Kirche geht, ist es wohl was Ernstes.«
Mit einem knappen Nicken rettete sich Temple zurück in sein Büro, wo er sich abmühte, die Konsequenzen dieser Neuigkeit abzuschätzen. Verflucht noch mal! Als Russo für ihn das Kennzeichen überprüft hatte, hatte er so getan, als wüsste er nicht, wem es gehörte. Warum bloß? Wieso hatte er verheimlicht, dass er Daisy kannte? Es gab dafür doch keinen Grund, es sei denn … es sei denn, er wusste ganz genau, dass Daisy nicht in der Feuerwehreinfahrt vor Dr. Bennetts Praxis geparkt hatte, und das konnte er nur wissen, wenn er zum fraglichen Zeitpunkt mit ihr zusammen gewesen war.
Mit den »Hygieneartikeln«, die beide in Mr. Cluds Apotheke gekauft hatten, mussten wohl Kondome gemeint sein, was wiederum hieß, dass sie miteinander schliefen. Ganz bestimmt würde Russo keine Nacht mit Daisy im Haus ihrer Mutter verbringen, aber schließlich hatte er selbst ein Haus, in das er sie mitnehmen konnte. Temple hätte nie für möglich gehalten, dass Daisy Minor bei einem Mann übernachtete, aber andererseits hätte er auch nicht für möglich gehalten, dass sie sich das Haar bleichen ließ und in den Buffalo Club ging. Ganz offenbar wollte Miss Minor sich endlich mal richtig austoben.
Russo wusste also, dass er gelogen hatte, was Daisys Auto anging. Russo war kein Idiot; bestimmt war ihm sofort klar gewesen, dass jemand anders Temple gebeten hatte, den Besitzer des Autos ausfindig zu machen. Was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn er nicht gelogen hätte. Die Lüge erweckte Misstrauen: Russo würde sich fragen, was hier gespielt wurde. Und Temple gefiel es absolut nicht, wenn ein Mann wie Russo sich für seine Spielchen interessierte.
Jetzt ging es erst einmal um Schadensbegrenzung. Er musste Sykes finden und die Sache abblasen, dann musste er etwas wegen Jennifer unternehmen, und gleichzeitig musste er sicherstellen, dass die Sache mit den Russinnen glatt über die Bühne
ging, weil Mr. Philipps im Moment äußerst allergisch reagieren würde, wenn auch nur das kleinste Problem auftauchte.
Jennifer fuhr ziellos durch die Gegend. Sie hatte Angst heimzukehren, weil Temple mittlerweile bestimmt erfahren hatte, was sie getan hatte. In einer Kleinstadt war so etwas nicht geheim zu halten. Sie konnte nicht aufhören zu weinen, obwohl sie inzwischen nicht mehr wusste, weshalb sie eigentlich weinte, es sei denn, sie hatte, ohne dass sie es richtig begriffen hatte, einen Nervenzusammenbruch. Das durfte auf gar keinen Fall passieren, dachte sie; denn dann bekäme Temple die Möglichkeit, sie irgendwo in eine psychiatrische Anstalt abzuschieben.
Sie hatte das kleine Band aus dem Anrufbeantworter gepult und in ihre Handtasche fallen lassen. Sie würde dafür sorgen, dass irgendjemand dieses Band zu hören bekam; wie sie das anstellen sollte, wusste sie allerdings nicht. Am liebsten wäre sie einfach zur Polizei gefahren und hätte dort einen riesigen Wirbel veranstaltet, bis jemand in aller Öffentlichkeit das Band abspielte. Auf diese Weise wäre es nicht mehr wegzuleugnen, und niemand würde glauben, sie hätte im Suff halluziniert. Schlau wäre das schon, aber irgendwie brachte sie die nötige Energie dafür nicht auf.
Sie hatte das Gefühl, so zu zittern, dass sie innerlich zersplitterte; sie brauchte etwas zu trinken, und zwar dringender als je zuvor in ihrem Leben. Doch zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Angst vor dem Trinken. Wenn sie erst einmal damit anfing, würde sie nicht wieder aufhören können, und dann wäre sie vollkommen hilflos. Ihr Leben hing davon ab, dass sie nüchtern blieb. Sie schien zwar nicht mehr systematisch denken zu können, aber wenn sie trank, würde sie überhaupt nicht mehr denken können.
Schließlich fand sie sich wie von selbst auf der Straße nach Huntsville wieder. Auf jener Straße, auf der sie zum Einkaufen
oder zum Friseur fuhr. Wenn sie überhaupt das Haus verließ, dann fast immer, um nach Huntsville zu fahren. Es war eine nette und ihr vertraute Straße. Zweimal musste sie stehen bleiben und sich übergeben, obwohl sie nichts gefrühstückt hatte und nur ein bisschen bittere Galle
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