Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
Monsieur, daß Sie nicht wußten, daß Ihre Tochter die Bekanntschaft mit dem Grafen de la Rochefour zu erneuern gedachte.«
»Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel! Ich fand diesen Brief in der Handtasche meiner Tochter. Wie Ihnen wahrscheinlich bekannt ist, Monsieur Poirot, ist dieser sogenannte Graf ein Abenteurer schlimmster Sorte.«
Poirot nickte.
»Aber wie kommt es nur, daß Sie von der Existenz dieses Briefes wußten?«
Mein Freund lächelte. »Monsieur, ich wußte nichts davon. Aber es genügt nicht für einen Detektiv, Fußspuren zu verfolgen und Zigarettenasche zu erkennen. Er muß auch ein guter Psychologe sein! Ich wußte, daß Sie Abneigung und Mißtrauen gegen Ihren Schwiegersohn hegten. Er hatte durch den Tod Ihrer Tochter Vorteile. Nach der Beschreibung der Zofe hat der mysteriöse Mann hinreichende Ähnlichkeit mit ihm. Dennoch sind Sie ihm nicht scharf auf den Fersen. Das läßt nur einen Schluß zu: Ihr Verdacht liegt in einer anderen Richtung. Also mußten Sie mir etwas verschweigen.«
»Sie haben recht, Monsieur Poirot. Ich war von Ruperts Schuld überzeugt, bis ich diesen Brief fand. Er hat mich vollständig durcheinandergebracht.«
»Ja, das kann ich mir denken. Der Graf sagt darin: Sehr bald und vielleicht eher, als Sie denken. Offenbar wollte er nicht warten, bis Sie Wind von seinem Wiederauftauchen bekamen. Ist er vielleicht mit demselben Zug wie Ihre Tochter von London abgefahren und dann durch den Gang zum Abteil Ihrer Tochter gekommen? Der Graf de la Rochefour ist, wenn ich mich recht erinnere, ebenfalls groß und dunkel!«
Der Millionär nickte.
»Nun, Monsieur, ich wünsche Ihnen einen guten Tag. Scotland Yard hat vermutlich eine Liste der einzelnen Schmuckstücke?«
»Ja. Ich glaube sogar, Inspektor Japp ist gerade hier, wenn Sie ihn sehen möchten?«
Japp war ein alter Bekannter von uns. Er begrüßte Poirot mit einer gewissen wohlwollenden Herablassung:
»Und wie geht es Ihnen, Monsieur? Kein böses Blut zwischen uns, wie? Wenn wir auch von verschiedenen Gesichtspunkten aus an eine Sache herangehen. Was machen denn die kleinen grauen Zellen? Immer noch tüchtig in Betrieb?«
Poirot strahlte ihn an. »Sie funktionieren, mein guter Japp, darauf können Sie sich verlassen.«
»Dann ist ja alles in bester Ordnung. War es der Ehrenwerte Rupert oder ein einfacher Dieb? Was meinen Sie? Wir haben selbstverständlich alle verdächtigen Stellen im Auge und wissen sofort, wenn die Steinchen verschachert werden. Der Täter wird sie natürlich nicht behalten, um ihr Glitzern zu bewundern. Kaum anzunehmen, was? Ich will versuchen, ausfindig zu machen, wo Rupert Carrington gestern war. Scheint eine etwas mysteriöse Angelegenheit zu sein. Ich lasse ihn beobachten.«
»Eine großartige Vorsichtsmaßnahme! Aber vielleicht einen Tag zu spät«, bemerkte Poirot sanft.
»Sie müssen auch immer Ihr Späßchen machen, Monsieur Poirot. Also, auf nach Paddington. Bristol, Weston, Taunton – das ist mein Revier. Auf Wiedersehen!«
»Sie werden mich doch heute abend aufsuchen und mir sagen, was Sie erreicht haben?«
»Sicher. Wenn ich bis dahin zurück bin.«
»Der gute Japp ist sehr für Bewegung«, murmelte Poirot, als Japp fortging. »Er reist, er mißt Fußspuren, er sammelt Erde und Zigarettenasche. Er ist äußerst geschäftig und unbeschreiblich eifrig. Aber wenn ich das Wort Psychologie erwähnte, was würde er dann tun? Er würde lachen! Er würde vor sich hin sagen: ›Der arme Poirot! Er wird alt! Er wird senil!‹ Japp gehört zur ›jüngeren Generation, die an die Tür pocht‹, wie man so schön sagt, und die vor lauter Eifer gar nicht merkt, daß die Tür offen ist!«
»Und was werden Sie unternehmen?«
»Da wir Carte blanch haben, werde ich ein paar Pennys auf ein Telefongespräch mit dem Ritz verschwenden – wo unser Graf sich ja aufhält, wie Ihnen sicher nicht entgangen ist. Danach werde ich in meine Wohnung gehen und mir auf dem Spirituskocher eine tisane brauen; denn ich habe nasse Füße und bereits zweimal geniest.«
Ich sah Poirot erst am nächsten Morgen wieder, als er seelenruhig sein Frühstück beendete.
»Nun«, fragte ich eifrig, »gibt’s was Neues?«
»Nichts.«
»Und Japp?«
»Ich habe ihn noch nicht wiedergesehen.«
»Der Graf?«
»Hat vorgestern das Hotel verlassen.«
»Dann besteht ja kein Zweifel mehr, und Rupert Carrington ist frei vom Verdacht.«
»Weil der Graf de la Rochefour das Hotel Ritz verlassen hat? Nicht so hastig mein
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