Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
kleine Pensionärin. Dadurch kam es zu Unannehmlichkeiten. Sie hätte beinahe eine schlechte Partie gemacht.«
»Wie kam das denn?«
»Ein gewisser Graf de la Rochefour war hinter ihr her. Un bien mauvais sujet. Ein Taugenichts, ein ausgekochter Abenteurer, der es verstand, das Herz eines romantisch angehauchten jungen Mädchens zu erobern. Glücklicherweise bekam ihr Vater rechtzeitig Wind davon und holte sie schleunigst nach Amerika zurück. Einige Jahre später erfuhr ich von ihrer Heirat. Aber ich weiß nichts über ihren Mann.«
»Hm«, sagte ich. »Der Ehrenwerte Rupert Carrington ist nach allem, was man so hört, nicht gerade ein Glanzstück. Mit seinem Vermögen sind die Pferdchen durchgegangen, und ich kann mir lebhaft vorstellen, daß der Dollarsegen des alten Halliday wie gerufen kam. Ich muß sagen: einen jungen Menschen, der so gut aussieht, solch tadellose Manieren hat und dabei ein so gewissenloser Halunke ist wie er, gibt es wohl kaum ein zweites Mal auf der Welt.«
»Oh«, sagte Poirot, »das arme kleine Mädchen! Elle n’est pas bien tombée! «
»Ich glaube, er hat ihr von Anfang an deutlich gezeigt, daß ihr Geld für ihn wichtiger war als ihre Person. Wenn ich nicht irre, sind sie fast sofort nach der Hochzeit auseinandergegangen. Es schwirrten Gerüchte umher, wonach eine endgültige gesetzliche Trennung stattfinden sollte.«
»Der alte Halliday ist kein Dummkopf. Er wird ihr Geld ziemlich festgelegt haben.«
»Das ist sehr wahrscheinlich. Jedenfalls ist es aber eine bekannte Tatsache, daß der Ehrenwerte Rupert finanziell in der Klemme sitzt.«
»Aha! Wer weiß…«
»Wer weiß was?«
»Nicht so stürmisch, mein guter Freund! Sie sind aber sehr interessiert, wie ich sehe. Wie wär’s, wenn Sie mich zu Mr. Halliday begleiten würden? Gleich an der Ecke können wir ein Taxi nehmen.«
Schon nach wenigen Minuten hielt unser Auto vor einem prunkvollen Haus in der Park Lane, das der amerikanische Magnat gemietet hatte. Wir wurden in die Bibliothek geführt, und fast unmittelbar darauf trat ein breitschultriger, untersetzter Mann mit durchdringendem Blick und aggressivem Kinn zu uns ins Zimmer.
»Monsieur Poirot«, sagte Mr. Halliday, »ich glaube, ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, warum ich Sie kommen ließ. Sie haben die Zeitungen gelesen, und ich bin ein Mensch, der nie das Gras unter seinen Füßen wachsen läßt. Ich hörte zufällig, daß Sie in London seien, und da fiel mir die tadellose Arbeit ein, die Sie damals für mich geleistet haben. Vergesse nie einen Namen. Natürlich stehen mir die besten Kräfte von Scotland Yard zur Verfügung. Aber ich möchte außerdem meinen Privatdetektiv haben. Geld spielt keine Rolle. Alle die vielen Dollar waren für mein kleines Mädchen gemacht – und nun ist sie nicht mehr da. Ich gäbe meinen letzten roten Heller her, um den Schurken, der das getan hat, zu fassen! Das verstehen Sie, nicht wahr? Also bringen Sie den Kerl zur Strecke!«
Poirot verbeugte sich.
»Ich nehme den Fall an, Monsieur, um so bereitwilliger, als ich Ihre Tochter mehrere Male in Paris gesehen habe. Und nun muß ich Sie bitten, mir einen genauen Bericht über die Reise Ihrer Tochter nach Plymouth zu geben sowie über alle Einzelheiten, die etwas mit dem Fall zu tun haben könnten.«
»Nun, zunächst einmal«, antwortete Halliday, »war es gar nicht ihre Absicht, nach Plymouth zu fahren. Sie war auf dem Wege zu einer Einladung in Avonmead Court, dem Landsitz der Herzogin von Swansea. Sie verließ London mit dem Zuge, der um 12.14 Uhr von Paddington abfährt und um 2.50 Uhr in Bristol, wo sie umsteigen mußte, ankommt. Die wichtigsten Schnellzüge nach Plymouth fahren natürlich über Westbury und berühren Bristol überhaupt nicht. Der 12.14 Uhr fährt aber bis Bristol durch und hält nachher in Weston, Taunton, Exeter und Newton Abbot. Meine Tochter reiste allein im Abteil, das bis Bristol reserviert war. Ihre Zofe saß in einem Abteil dritter Klasse im nächsten Wagen.«
Poirot nickte, und Mr. Halliday fuhr fort: »Die Einladung in Avonmead Court war ziemlich großartig aufgezogen. Es sollten mehrere Bälle stattfinden. Meine Tochter hatte daher fast ihren ganzen Schmuck bei sich im Werte von ungefähr hunderttausend Dollar.«
» Un moment « , unterbrach Poirot. »Wer hatte den Schmuck in Verwahrung? Ihre Tochter oder die Zofe?«
»Meine Tochter hatte ihren Schmuck stets bei sich, und zwar in einem kleinen blauen Lederkoffer.«
»Bitte fahren Sie fort,
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