Auch Santiago hatte einen Hund
hat, und so kommt sogar noch ein Topf Nudeln mit Tomatensauce auf den Tisch. Ich weiß nicht, ob sich die anderen der Symbolkraft dieses bescheidenen Mahls bewusst sind: Einer, dessen Reise hier zu Ende geht, zwei, die ihre gerade hier beginnen, und zwei, die die Hälfte ihres Weges hinter sich haben, treffen sich an dieser Wegkreuzung und essen gemeinsam zu Abend. Ich bin überwältigt!
Die Atmosphäre ist offen, kameradschaftlich, man teilt, erlebt und genießt die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, soziale Grenzen werden verwischt, bald ist es, als würden wir uns schon lange kennen. Jetzt versteh ich auch den Sinn des Streiks. Nicht nur, dass ich allen vieren wertvolle Hilfe geben kann: den zwei „Neuen“ Tipps von einem alten Hasen für den Weg, der vor ihnen liegt, über Etappenlänge, Herbergen, Verpflegung den beiden Schweizern wichtige Infos über die VIA PODIENSIS, auf der sie in Richtung Schweiz gehen wollen. Ihnen leihe ich meinen Wegführer, den ich jetzt nicht mehr brauche. Er enthält außer der Wegbeschreibung vor allem Adressen von Herbergen, die um diese Jahreszeit eventuell noch offen sind. Diese Begegnung ist aber in erster Linie ein Geschenk für mich. Einen schöneren Abschluss meiner Pilgerreise als mit anderen Pilgern das Essen zu teilen, und das am dafür bestgeeigneten Ort (außer Santiago, aber da wollte ich diesmal nicht hin), kann ich mir nicht vorstellen. Dieser Abend ist auch ein würdiger Abschied von Ajiz, meinem geliebten und unvergessenen Gefährten. Von hier waren wir vor acht Jahren nach RONCESVALLES, zur letzten Etappe auf dem LE PUY-Weg, aufgebrochen. Ich umarme noch alle vier Pilger (Janine nicht, das fällt mir erst später ein, und es tut mir sehr leid) und gehe dann frohen Herzens zum Bahnhof. Diesmal fährt der Zug...
Abschied
Obwohl ich jetzt wusste, dass unsere letzte gemeinsame Woche angebrochen war, wog der Alltag und dessen Bewältigung so schwer, dass ich nicht jeden Tag mit dem Gedanken aufwachte, dass es der letzte Donnerstag, Freitag etc. im Leben von Ajiz war. Heute, im Rückblick, bilde ich mir ein, dass die letzte Woche eigentlich recht „normal“ verlief. Bis auf die Tatsache, dass ich bewusst mit ihm meine Familie und einige Freunde besuchte, von denen ich wusste, dass sie Ajiz sehr gerne mochten. Ich wollte ihnen so die Gelegenheit geben, sich von ihm zu verabschieden.
Die getroffene Entscheidung hatte mich ruhiger gemacht. Ungewissheit, Sorge und Angst waren weg, Zeitpunkt und Ort des Abschieds bestimmt, nun konnte ich mich darauf vorbereiten. Doch es sollte anders kommen als geplant, der Gedanke daran tut mir heute noch weh.
Am Donnerstag, einen Tag nach dem Besuch beim Tierarzt, besuchte ich mit Freunden ein Bach-Violinkonzert und ließ deshalb Ajiz bei Elisabeth, einer pensionierten Krankenschwester, ehemaligen Entwicklungshelferin (und ebenfalls Hundebesitzerin), die ich schon seit meinem Guatemala-Jahr, also seit Urzeiten, kenne. Sie wohnt wenige Gehminuten vom Veranstaltungsort entfernt, also musste ich Ajiz nicht lange bei ihr lassen. Seitdem er bei jenem Geburtstagsfest wieder von der Rückbank gerutscht war, ließ ich ihn definitiv nicht mehr allein im Auto. Abwechselnd übernahmen ihn entweder meine Nachbarn Gabi und Richard, die ihn sehr ins Herz geschlossen hatten, hin und wieder auch meine Eltern, oder eben Elisabeth, die er schon als Welpe gekannt hatte.
Mittagsrast in den Pyrenäen
Als ich ihn nach dem wunderbaren Konzert, bei dem ich für eine Weile meine Sorgen vergessen hatte können, wieder in Empfang nahm, erzählte mir Elisabeth, dass er zu jammern begonnen und sie ihm deshalb eine Schmerztablette gegeben habe. Es störte mich zwar - und ich sagte es ihr auch -, dass sie es ohne mein Einverständnis getan hatte, schließlich war es ja nicht ihr Hund, ich würde so etwas nie mit einem fremden Hund tun, aber sie hatte es gut gemeint. (Wieder hat Karl Kraus leider Recht behalten: „Was ist das Gegenteil von gut? - Gut gemeint!“) Außerdem, was konnte ich nachträglich noch daran ändern? Sie hatte Ajiz ein äußerst starkes und - heute weiß ich es - aggressives Menschenmedikament verabreicht, das zu blutigen Magengeschwüren führen kann, wenn es zu stark dosiert ist oder nicht von magenschonenden Medikamenten begleitet wird. Bei Menschen, wohlgemerkt. Bei Ajiz hatten die 100 (!) Milligramm eine verheerende Wirkung. Sein schon angegriffener Magen - seit geraumer Zeit hatte er schon wegen der Arthrose genau
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