Auch Santiago hatte einen Hund
wünschen. Selbiges wünsche ich Eric, der, gerade als ich aufbreche, verschlafen aus seinem Zimmer auftaucht. Er ist ein netter Kerl, aber ich möchte nicht längere Zeit mit ihm am Weg verbringen. Muss ich auch nicht, Gott sei Dank. Das war also meine erste Begegnung mit einem Pilger. Na ja. Eigentlich war es eh nur ein halber, genau betrachtet ein ehemaliger Pilger, tröste ich mich, denn er ist ja nicht mehr zu Fuß unterwegs.
So viel zum angenehmen Teil des Tages. Um den Rest zu beschreiben, genügt ein einziges Wort: trostlos ! Den ganzen Tag über, ohne Unterbrechung, Regen, manchmal verschärft durch eiskalten Wind. Schade, denn landschaftlich, vor allem vom Weg her, wäre es die schönste Etappe seit langem, so viel kann ich auch bei dem grässlichen Wetter erkennen. Zum ersten Mal bin ich für viele Kilometer auf dem uralten historischen und wunderschönen Pilgerweg unterwegs, was heute jedoch einen Marsch durch Schlamm bedeutet, zusätzlich erschwert durch meine lieben Freunde, die Motocross-Fahrer. Mit ihren dicken Stollenreifen wühlen sie den Schlamm noch mehr auf, was den Boden für Fußgänger noch tiefer, noch schwieriger macht. Der Südwesten Frankreichs scheint ein „Mekka“ der Motocrossler zu sein: Schon vor neun Jahren bei meiner Pilgerreise auf der VIA TOLOSANA, die höchstens 15 Kilometer weiter südlich von hier verläuft, waren sie häufig Gegenstand unheiliger Flüche. Damals habe ich den Verdacht geäußert, dass sie mit ihren Maschinen als „Cross-Pilger“ nach Santiago unterwegs waren, aber heute bin ich mir sicher, dass sie sich mit ihrem „Mekka“ begnügen. Mittlerweile bin ich älter und milder geworden, und da ich damals schon die geballte Kraft meiner Flüche über sie herunterprasseln lassen hatte, gebe ich mich jetzt mit einigen wenigen, aber gezielten Kraftausdrücken zufrieden und konzentriere meine Energie auf das Stapfen im Schlamm. Der Vorbau der Jakobskirche von LANNEPLAAN bietet mir am Vormittag für eine kurze Pause Schutz vor dem Regen; die Mittagsrast verbringe ich standesgemäß in der Kirche von HÔPITAL D’ORION, einem ehemaligen Hospiz am Camino, wie schon der Name verrät. Es ist bitter kalt, aber wenigstens sitze ich im Trockenen. An eine Siesta ist nicht zu denken, aber erstens ist die Etappe nicht so lang (24 km), und zweitens sind die niedrigen Temperaturen viel weniger kräfteraubend als die brütende Sommerhitze. Draußen plätschert es munter weiter vom Himmel.
Bei der Ankunft am Nachmittag in SAUVETERRE bin ich tatsächlich bis auf die Haut durchnässt, bei jedem Schritt seufzt und gurgelt es aus meinen Schuhen, beinahe könnte man das völlig durchweichte Leder aus-winden. In der Gemeindestube, wo ich mich nach einer Pilgerunterkunft erkundige, bildet sich auch sofort zu meinen Füßen eine ansehnliche Wasserpfütze, was mit einem verständnisvollen Lächeln zur Kenntnis genommen wird. SAUVETERRE bleibt seiner Tradition der Gastfreundschaft treu (es war im Mittelalter Sitz eines Jakobshospizes), die Gemeindesekretärin telefoniert auf der Suche nach einer Unterkunft für mich unermüdlich herum, bis sie bei Madame Duchamps fündig wird. Ich möge im Gemeindeamt auf sie warten, sie hole mich gleich im Auto ab, zu Fuß solle ich bei dem Wetter keinen Schritt mehr gehen. Bei ihr angekommen zeigt sie mir mein Zimmer, die Küche und den Wohnraum, wo schon ein prächtiges Feuer im offenen Kamin darauf wartet, meine kalten Knochen zu wärmen. Sie muss noch zu einer Sitzung und entschuldigt sich, dass sie mich deshalb allein lässt. Aber ich soll mich einfach wie zu Hause fühlen - und das mache ich. Bald sieht der Platz um den Kamin wie der Trockenraum einer Großwäscherei aus - morgen dürfte ich wieder in trockene Sachen schlüpfen können. Mit den Zutaten aus meinem Rucksack bereite ich mir in der Küche meine Pilgersuppe zu, nachher sitze ich mit dem Rücken zum Feuer vor dem Fernsehapparat und warte auf die Wetternachrichten. (Noch so ein Tag wie heute, und ich löse mich auf!) Madame Duchamps leistet mir nach ihrer Rückkehr Gesellschaft, im Dreier-Programm läuft ein guter Western, auf den sie sich schon lange freut. Friedlich vereint sitzen wir vor der Glotze, wie ein altes Ehepaar, knabbern den ausgezeichneten Pyrenäenschafkäse, spülen ihn mit einem Rose aus der Gegend hinunter, beide sind wir zufrieden. Madame Duchamps freut sich, dass ein Pilger etwas Abwechslung in ihr einsames Leben bringt, ich freue mich, dass ich es warm und trocken
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