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Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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kleine Nebenstraße, parallel zur Nationale. Aber dann bemerke ich, dass auf den offiziellen Jakobswegweisern für zwei Kilometer 15 Gehminuten (!!) angegeben sind - das kann nicht sein, da ist was faul! Und tatsächlich, die Route, über welche ich vor acht Jahren so geflucht habe, weil sie über teils verwachsene und schlammige Feld- und Waldwege geführt hatte, wurde durch das Verbot der betroffenen Grundbesitzer „stillgelegt“. Da die Nationale jedoch um jeden Preis vermieden werden muss (siehe GR-Regel), ist die Folge eine Routenänderung, die einen Umweg von einigen Kilometern bedeutet. Die Stunde des Kartenlesers und Freigehers hat also wieder einmal geschlagen. Mithilfe der Karte und meines Gedächtnisses finde ich den alten GR im Wald tatsächlich wieder, ich muss „nur“ zwei Zäune überklettern. Dank dieser Abkürzung bin ich so zeitig bei der Kirche SAINTE-MADELEINE am Eingang von SAINT-JEAN, dass ich in der herrlich warmen Sonne, auf einer Grabplatte sitzend, noch ein letztes Mal meine Rast und Jause zelebrieren kann. Für die halbe Stunde bis zum Bahnhof - die letzten zweieinhalb Kilometer von insgesamt 12001 -, sozusagen zum Abschied und als Auftrag, hat sich Jakobus, wer sonst, etwas ganz Besonderes für mich ausgedacht. Gleich nach der Magdalenenkirche gesellt sich ein zutraulicher, kleiner Hund zu mir, der mir bis zum Bahnhof nicht mehr von den Fersen weicht. Zum Abschluss der Pilgerreise, die als Abschied von meinem Hund Ajiz gedacht war, begleitet mich ein Hund - das muss etwas bedeuten!
    Beim Bahnhof angekommen stelle ich fest, dass gestreikt wird. Der nächste Zug geht erst um 18 Uhr 40, Ankunft in MONT-DE-MARSAN etwa um zehn Uhr. Na gut, der Arger ist groß, aber nur kurz, ich kann ja eh nichts daran ändern, sondern nur das Beste daraus machen. Wahrscheinlich gibt es hier für mich noch etwas zu erledigen und ich darf nicht einfach so sang- und klanglos aus SAINT-JEAN verschwinden. Also zurück in die Stadt. Meinen Hundebegleiter treffe ich am Stadttor wieder, jetzt hat er sich zwei junge Touristinnen angelacht. (Das ist demnach überhaupt seine Masche, ich brauche mir gar nichts einzubilden oder eine Botschaft für mich herauszulesen, weil er zuerst mich begleitet hat.) Zuerst schau ich bei der Pilgerherberge vorbei, vielleicht treffe ich doch noch Pilger - die letzte Chance! -, aber es ist niemand da. Gut, dann bummle ich eben durch die Stadt (komisch, diese Art des Gehens), trink einen Kaffee, lese Zeitung, schlage die Zeit tot. Gegen vier Uhr probier ich es nochmals in der Herberge, diesmal wird mir geöffnet. Es ist Janine, die „Pilgermutter“ von SAINT-JEAN, die Nachfolgerin der berühmten Madame Debril. Früher deren Putzfrau, geht sie heute mit Leib und Seele in ihrer Rolle, Verantwortung und natürlich in ihrer neuen sozialen Stellung auf. Sie lädt mich auf einen Kaffee in ihrer Küche ein und zeigt mir dann stolz die neu ausgebaute Herberge, die damals vor acht Jahren, im Mai 1996, nur aus einem kleinen Zimmer mit drei Stockbetten und einer Toilette bestand. Das Zimmer gibt es noch, aber es sind ein Schlafsaal mit geschätzten 16 Betten, eine moderne Küche und ein Duschraum dazugekommen. Während ich mit Janine plaudere, läutet es an der Tür, ich mache auf - und stehe zwei Pilgern gegenüber, die gerade in SAINT-JEAN angekommen sind! Habe ich es also doch noch geschafft, im letzten Abdruck. Deshalb durfte ich zu Mittag nicht fahren! Benjamin, 20 Jahre, kommt mit dem Zug aus Deutschland, Francisco, „Kika“, 28 Jahre, sie stammt aus Mallorca, kommt mit dem Taxi aus Pamplona. Auf dem Weg zur Herberge haben sie sich getroffen, morgen werden sie gemeinsam aufbrechen. Dann kommen noch zwei weitere Pilger, ein Paar, die nach Australien ausgewanderten Schweizer Alice und Fritz. Sie sind an der portugiesischen Grenze aufgebrochen und über Santiago zu Fuß auf dem Weg in die Schweiz, wo sie mit ihren Familien Weihnachten feiern wollen. Keiner der vier kann Französisch, Janine beherrscht, als gute Französin, nur ihre Muttersprache, da bin ich mit meinen Sprachkenntnissen gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Es wird Abend, mein Zug geht erst in eineinhalb Stunden; wir alle haben Hunger, jeder hat Proviant im Rucksack. So findet in der Pilgerherberge von SAINT-JEAN mein erstes und letztes gemeinsames Abendessen mit anderen Pilgern statt. Wir schmeißen zusammen, was wir haben, Janine erlaubt uns großzügig, eine Dose Tomaten zu öffnen, die ein Pilger zurückgelassen

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