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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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Visite.
    »Schrecklicher Tag«, sagte Mrs. Hodge, als sie mir öffnete.
    »Fürchterlich. Es erschwert alles so, ganz abgesehen davon, daß sie jetzt noch den Strom rationieren.«
    »Das macht uns zum Glück nichts aus«, sagte Mrs. Hodge. »Wir haben Gas. Zwar ist der Druck recht schwach, aber mit der Elektrizität gibt es immer Ärger.«
    »Da haben Sie ganz recht«, ich folgte ihr die Treppe hinauf. »Wir kochen mit Strom. Ich habe heute früh nicht einmal eine Tasse Kaffee bekommen.« Ich hoffte, daß meine Stimme laut genug erklang.
    »Jenny hatte eine schlechte Nacht«, sagte Mrs. Hodge. »Nicht wahr, Jen? Sehen Sie nur, wie fiebrig sie aussieht, das arme Ding.«
    Meine Worte waren im Wind verhallt.
    Jonathan Dean hatte Bauchschmerzen, leichte Temperatur und schien kurz vor einer Blinddarmentzündung zu stehen. Ich rief die Ambulanz an.
    »Sie kommen, so schnell sie können, Mrs. Dean. Der Straßenzustand ist allerdings nicht sehr gut.«
    »Mein Mann müßte sonst zum Bahnhof laufen. Ich frage mich, wie lange es noch dauern soll. Am besten, ich packe schnell Jonathans Sachen zusammen.«
    Es war sinnlos, hier den Kaffee überhaupt zu erwähnen.
    Mrs. Stockyard hatte den Kessel aufgesetzt. Ich konnte sein Pfeifen hören.
    »Welch angenehmer Laut«, sagte ich, während ich Mr. Stockyards Brust abhörte. »Ich meine den Kessel. Man hat uns den Strom abgedreht, ich konnte heute früh nicht einmal eine Tasse Kaffee bekommen.«
    »Sie Ärmster«, sagte Mrs. Stockyard. »Kommen Sie gleich hinunter in die Küche, wenn Sie mit der Untersuchung meines Mannes fertig sind. Sie müssen ja ganz erfroren sein.«
    Ich lächelte mitleiderregend.
    Ich bekam zwei riesige Tassen Kaffee und ein halbes Päckchen Kekse. Danach fühlte ich mich wohler.
    Mrs. Lime und Mrs. Morton hatten von der Stromsperre erfahren und bestanden darauf, daß ich mit ihnen Kaffee trank. Mrs. Cole aus Ohio ließ mich nicht eher gehen, als bis ich heiße Schokolade getrunken hatte. Zum Mittagessen rutschte ich nach Hause zurück.
    Essenszeit! Sylvia trug eine Platte mit gläsernen Spaghetti über die Straße, sie hatte drüben auf Gas gekocht. Wir hockten uns an den Boiler in der Küche, .gemeinsam mit der Wäsche, die dort trocknen sollte.
    Bei dem letzten Spaghetti-Faden war Mr. Webster in seinem Herrenartikelgeschäft zusammengebrochen. Ich ließ, um rascher voranzukommen, den Wagen auf dem Hügel stehen, wohin ich ihn mit Hilfe von zwei Ketten gebracht hatte, und versuchte die hintere Tür zu öffnen, um meine Tasche herauszuholen. Sie bewegte sich nicht, denn sie war fest angefroren. Ein Polizist mit roter Nase stand, die Hände auf dem Rücken verschränkt, dabei und beobachtete meine nutzlosen Versuche.
    »Können Sie nicht lesen, mein Herr?« fragte er schließlich.
    Ich blickte fragend zu ihm auf. Was meinte er wohl damit?
    Er deutete mit dem Daumen zu einem Schild über seinem Kopf. »Parkverbot auf dieser Straßenseite«.
    Das hatte noch gefehlt. Indem ich versuchte, meine Zunge zu beherrschen, erklärte ich ihm meine mißliche Lage. Gemeinsam versuchten wir die Tür zu öffnen. Schließlich gelang es uns, und ich war in der Lage, Mr. Webster zu behandeln.
    Das Wetter hielt drei Wochen an; mir bereitete es geringere Schwierigkeiten als vielen meiner Patienten, von denen besonders die älteren in ernste Bedrängnis gerieten, da sie völlig unfähig waren, mit dieser Wettersituation fertig zu werden. Die einzigen, die sich dabei wohl fühlten, waren P. & P. Jeden Tag gab es ein Fest mit dem Rodelschlitten und eine Schneeballschlacht.
    Das Durcheinander war allerdings phantastisch. Unser Wartezimmer war ständig von nassem, schmelzendem Schnee überschwemmt. In der Küche dampften ununterbrochen trocknende Schuhe und Kleider. Die Teppiche waren von dem roten Kies überzogen, den die Schneeräumer gestreut hatten. Ich unternahm mehr Fahrten in fremden Wagen als in meinem ganzen sonstigen Leben. Mein Wagen hatte sich im Schnee nicht bewährt, so daß ich ihn öfters stehen ließ und Fahrten in kleineren Modellen unternahm, die Frontantrieb hatten. Jede Visite war eine Expedition, von der die Rückkehr unsicher war. Ich mußte ausgegraben, angeschoben und herausgezogen werden, in welcher Straße unseres Bezirks ich mich auch befand. Die Scheibenwischer waren angefroren, die Fenster vereist, die Heizung versagte. Ich kaufte mir eine Schaffelljacke und ein Paar pelzgefütterte Stiefel und sah auf meinen Visiten wie ein wilder, verrückter Russe aus.

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