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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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ungeduldige Menschenmenge im Wartezimmer vor Augen, wußte aber, daß dies hier wichtiger war.
    »Angst, daß ich einmal etwas Dummes tue.«
    Ich wußte, was sie meinte. »Haben Sie schon daran gedacht?«
    »Ja.«
    »Und womit?«
    »Im Badezimmer - die Rasierklingen! Manchmal liege ich auf dem Bett und stelle mir vor, wie einfach es sein muß.«
    »Und was hat Sie davon abgehalten?«
    »Es war eine zu große Anstrengung, vom Bett aufzustehen und ins Badezimmer zu gehen. Ich fürchtete mich, aber vielleicht werde ich es eines Tages tun.«
    »Haben Sie mit ihrem Mann darüber gesprochen?«
    »Harry versteht es nicht. Er hat viel Geduld gezeigt. Ich gehe nicht aus, lade keine Gäste ein. Ich kann nicht. Er sagt mir, ich muß das überwinden. Er kaufte mir ein Armband mit Smaragden, um mich aufzuheitern. Es ist wunderschön, wirklich. Ich sehe mir die Steine an und überlege, ob es mir wirklich etwas bedeutet, und sage mir, wie kostbar sie sind.«
    »Sie haben eine leichte Depression«, sagte ich, »gewiß können wir Ihnen helfen.«
    »Ich glaube nicht daran. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich früher war. Heiter, gesellig, ich tanzte bis in die späte Nacht. Alles vorbei. Ich werde niemals wieder so sein.«
    »Es gibt jetzt neue Mittel für Ihren Zustand. Ich möchte, daß mein Kollege Dr. Letchworth Sie behandelt, er ist Spezialist in diesen Dingen. Heute abend? Nach der Abendsprechstunde?«
    Sie zuckte die Achseln. »Er wird auch nicht helfen können.«
    »Vielleicht kann er Sie doch überzeugen.«
    Das war vor drei Monaten gewesen. Lucy Gunner war, wie Robin sagte, ein schwerer Fall. Aber vor ungefähr zehn Tagen hatte er mir glücklich berichtet, daß sie etwas Licht zu sehen begann, und daß sie sich wieder mehr für das tägliche Leben interessierte.
    Sie wohnte am anderen Stadtende. In einem großen Haus mit einem Badezimmer aus rosa Marmor, in einer Umgebung, die so schön war wie sie selbst. Alles schien meine Fahrt aufzuhalten, an
    jedem Zebrastreifen mußte ich stoppen, jede Ampel zeigte Rot, Umleitungen kosteten mich Zeit.
    Die Tür zu Gunners Haus, das von hohen Lorbeerbäumen sehr elegant eingerahmt wurde, blieb trotz meines Läutens und Klopfens verschlossen. Ich stieß die Seitentür auf und wurde von einem großen Hund begrüßt, der schwanzwedelnd hinter mir herlief.
    »Mrs. Gunner! Mrs. Gunner!« Meine Stimme wurde von dicken Teppichen verschluckt.
    »Mrs. Gunner!« Oben überlegte ich, welche Tür es sein könnte. Ich riß einige Türen auf, Kinderzimmer, Badezimmer, Toilette. Durch die nächste erblickte ich ein riesiges Bett. Auf ihm, in einem beigefarbenen Etwas aus Chiffon, lag Lucy Gunner, offensichtlich leblos. Neben ihr summte das Telefon. Es war kein Blut zu sehen. Sie hatte keinen Puls mehr. Unter dem Bett fand ich, was ich suchte: eine leere dunkle Flasche mit der Aufschrift »Mrs. Gunner. Eine Tablette dreimal täglich«. Ich rief die Unfallstation an und das Städtische Krankenhaus und sagte, daß sie sofortige Behandlung benötigte. Bob Hurst, den ich gut kannte, hatte Bereitschaftsdienst. »Überdosis Tabletten«, sagte ich. »Ich weiß nicht, wieviel sie genommen hat. Ich werde versuchen, Robin telefonisch zu erreichen.«
    Der Unfallwagen kam sofort mit läutender Alarmglocke. Auf der anderen Straßenseite bewegten sich die Vorhänge an den Fenstern. Eine Nachbarin, die Lucy auf der Bahre liegen sah, fragte: »Oh, mein Gott, was ist geschehen?« und erbot ihre Hilfe. Ich bat sie, Harry Gunner anzurufen und ihm zu sagen, wohin wir seine Frau gebracht hatten.
    »Wird sie wieder gesund werden?«
    »Das hoffe ich sehr.«
    Ich ging ins Haus zurück, um Robin anzurufen. Wie gewöhnlich gab die Klinik keine Antwort. Ich hängte auf und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf dem Marmortisch in der Halle, dann versuchte ich es wieder.
    »St. Saviours. Was wünschen Sie, bitte?«
    »Die Abteilung für Psychiatrie, aber rasch.«
    »Heute hat es jeder eilig.«
    »Es ist wirklich dringend.«
    »Es wird gerade gesprochen.«,
    »Unterbrechen Sie das Gespräch, bitte, es handelt sich um einen Selbstmord.«
    »Bitte, sprechen Sie, Sir.«
    »Hallo, Schwester? Bitte, geben Sie mir Dr. Letchworth.«
    »Tut mir leid, Dr. Letchworth ist bei einem Patienten. Kann er zurückrufen?«
    Ich erklärte geduldig, worum es sich handelte.
    »Hallo, Robin?«
    »Wo brennt’s? Ich habe eben ein kleines Mädchen so nett hypnotisiert.«
    Ich sagte ihm, was geschehen war.
    »Ich komme sofort.«
    »Nicht nötig.

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