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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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Die Krankenwagen hatten Verspätung, die Hälfte der Patienten konnte ihre Medikamente nicht abholen, und die Bezirkskrankenschwestern froren auf ihren Fahrrädern.
    Ich machte mir Sorgen wegen der Nächte. Es war oft schwierig, den Wagen ohne Hilfe herauszufahren, trotz Schaufel und Säcken, mit denen ich mich ausgerüstet hatte und die ich auf meine Visiten mitnahm. Ich konnte in dringenden Fällen nicht mein sofortiges Erscheinen garantieren. Glücklicherweise verliefen die Nächte ruhig, in denen ich Dienst hatte, und Robin, dessen Wagen im Schnee besser vorwärtskam als meiner, hatte mit seinen Besuchen weniger Schwierigkeiten.
    Gemeinsam mit dem Milchmann, dem Müllräumer, dem Postboten und dem Bäcker, mit denen wir uns mehr denn je kameradschaftlich verbunden fühlten, seit wir die Schneewälle durchbrechen mußten, kämpften wir uns vorwärts. Jede Visite kostete die Energie von drei Besuchen, jede Fahrt die Zeit von zwei Fahrten. Täglich durchforschten wir den grauen Himmel nach einem blauen Wölkchen, jede Nacht nach einem Anzeichen von Tauwetter.
    Als es endlich soweit war, brachte es geborstene Wasserleitungen und Nebel mit sich: am Tag besuchte ich Häuser, die knietief im Wasser standen, in der Nacht war ich bei meinen Visiten nicht fähig, meine Handtasche zu erkennen, die neben mir im Wasser hing.
    Stirnhöhlenkatarrhe waren an der Tagesordnung, überall herrschte Bronchitis. Die alten Leute, Heren Leben nur noch an einem Faden hing, verlöschten. Die Hospitäler waren überbelegt.
    Sylvia brachte einen Prospekt mit: »Paris im Frühling.«
     

5
     
    Nun brach eine bessere Zeit an. Wie die Pocken war auch der Schnee vergangen. Und schließlich verging auch der Nebel, der laut Sylvia schmutzige Vorhänge hinterließ. Allein die Erinnerung blieb, und in den Straßen mahnten die narbigen Straßendecken und Schlaglöcher weiter an das Chaos.
    Vermutlich hatte ich durch meine übergroße Beschäftigung im Kampf mit den Elementen bis jetzt nicht 'bemerkt, wie eigenartig Sylvia sich benahm. Es gab dafür zwei besonders deutlich hervortretende Symptome. Das erste war einfach. Wann immer ich sie brauchte, konnte ich sie nicht finden. Nicht, daß das immer schon so gewesen wäre. Stets war sie irgendwie sichtbar gewesen, sei es in der Küche oder im Wohnzimmer, aber nun schien sie sich zu verstecken. Auch in ihrem Verhalten mir gegenüber schien sich ein Wandel vollzogen zu haben, obgleich es schwer war, das in Worte zu kleiden; sie war ganz einfach äußerst zurückhaltend. Sprach ich mit ihr, wenn es mir gelang, sie zu entdecken, antwortete sie mir zwar, aber sehr nebulös. Fragte ich sie etwas, sah sie mich eine Weile geistesabwesend an, dann versuchte sie offensichtlich, ihre zerstreuten Gedanken zu sammeln und eine befriedigende Antwort zu geben. Ich fing an, mich zu sorgen; sie schloß sich ein. Im Schlafzimmer, im Bad, manchmal im Kinderzimmer. Als ich darüber nachdachte, stellte ich plötzlich fest, daß sie sich schon eine Zeitlang so benahm. Ich war einfach zu beschäftigt gewesen, um es zu bemerken.
    Der Morgen, an dem ich entdeckte, wie verändert sie war, begann besonders unangenehm. Kevin Hawkins, 8 Wochen alt, wäre beinahe erstickt. Margaret Powell, sechzehn und ledig, stand kurz vor ihrer Niederkunft, und Lucy Gunner machte einen Selbstmordversuch. Natürlich war Robin, wie immer am Morgen, im Hospital. Waren wir beide im Dienst, teilten wir routinemäßig ein halbes Dutzend Visiten unter uns auf. Mußte aber einer von uns allein damit fertig werden, war die Hölle los.
    Zwei der dringenden Anrufe waren rätselhaft, und sie kamen ausgerechnet an einem Morgen, an dem ich mich geistig außerordentlich frisch fühlte. Ich untersuchte im Sprechzimmer gerade ein Ohr, als Miss Nisbet mit einem alten Rezept hereinkam, das ich neu ausschreiben sollte.
    »Wie geht es Ihnen?« fragte ich und kritzelte »otitis media« auf Patricia Dankworths Zettel. »Sind viele Visiten gemeldet?«
    »Achtunddreißig in Essex und fünf Fitzroy-Kinder mit Halsentzündung und Fieber, Margaret Powells Schmerzen sind während der Nacht wiedergekommen, Mr. Forest hat erneute Rückenschmerzen, Mrs. Hawkins sagt, Kevin hat eine merkwürdige Farbe und... «
    »Was heißt: merkwürdige Farbe?«
    »Das hat sie nicht gesagt.«
    »Sagte sie, es sei dringend?«
    »Nein, ich sollte Ihnen das nur ausrichten.«
    »Sie hätten mich mit ihr verbinden sollen.«
    Ich unterzeichnete das Rezept. »Bitte, verbinden Sie mich mit Mrs.

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