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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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Bob Hurst hat Dienst. Ich wollte nur von dir wissen, wie viele Tabletten sie hatte und wie sie heißen.«
    »Fünfunddreißig. Bellegron, 50 mg. Ich habe sie ihr gestern gegeben. Sie machte Fortschritte.«
    »Ich werde es Bob ausrichten.«
    »Sag ihm, daß ich gleich komme.« Er hatte aufgelegt.
    Es gab für mich im Moment nichts mehr zu tun.
    Ich dachte an das Dutzend Patienten in meinem Wartezimmer und wendete den Wagen in Richtung Praxis. Dann fiel mir Kevin Hawkins ein, und aus einem unerfindlichen Grund wendete ich den Wagen nochmals.
    »Was ist mit Kevin?« fragte ich, als Mrs. Hawkins im Morgenmantel und mit Lockenwicklern im Haar die Tür öffnete, ihren Zweijährigen auf dem Arm.
    »Ich habe Sie eigentlich erst nach der Sprechstunde erwartet. Tut mir leid, alles ist durcheinander.«
    »Macht nichts. Was ist denn?«
    Ich stieg die Treppe hinter ihr nach oben.
    »Ich weiß wirklich nicht. Als er heute früh aufwachte, war er ganz still; er verweigerte seine Sechs-Uhr-Mahlzeit und hatte eine so merkwürdige Farbe. Er ist wieder eingeschlafen. Es ist vielleicht besser, ihn nicht zu wecken.«
    Das Zimmer des Säuglings war verdunkelt. Ich zog die Vorhänge auf und sah in das Bettchen. Er lag ganz still, atmete kaum und hatte weiße Lippen.
    Ich nahm ihn hoch und schlug ein Tuch um ihn.
    »Was tun Sie da?«
    Ich übergab ihn Mrs. Hawkins. »Tragen Sie ihn ganz schnell hinunter, wir müssen ihn ins Hospital bringen.«
    »Ich kann nicht. Was soll ich mit Paul machen?«
    »Nehmen Sie ihn mit.«
    »Aber ich bin noch nicht angezogen.« Sie führte die Hand zum Kopf.
    »Mrs. Hawkins, Kevin ist am Sterben.«
    Ich mußte leider etwas rücksichtslos sein, um sie in Bewegung zu setzen. Ich nahm Paul auf, der zu überrascht war, um sich zu wehren, und ohne weitere Worte folgte Mrs. Hawkins mir hinunter in den Wagen.
    Das acht Wochen alte Baby litt an einer Laryngotracheo-Bronchitis. Es war eine schnell fortschreitende, gefährliche Erkrankung, die schon innerhalb weniger Stunden zum Tod führen konnte. Offenbar hatte sie in der letzten Nacht begonnen. Wenn die Mütter am Morgen ihre Kinder versorgen wollen, war es meistens schon zu spät. Mit Kevin würden wir vielleicht noch Glück haben, obwohl er bereits dem Tode nahe war.
    Zum zweitenmal an diesem Tag fuhr ich in größter Eile, schnitt geduldig wartende Autofahrer, umrundete eine Verkehrsinsel auf der falschen Seite und überfuhr bei Rot die Kreuzung.
    An der Anmeldung nahm ich Kevin aus Mrs. Hawkins Armen und rannte in die Ambulanzstation.
    »Wo ist Dr. Hurst?«
    »Er ist mit einem Selbstmord beschäftigt.«
    Ich hatte Lucy Gunner vergessen. Bob Hurst kam aus einem Schlafsaal heraus.
    »Du! Schon wieder?« Er sah auf Kevin. »Das Kind sieht nicht gerade sehr gesund aus.«
    »Nimm ihn rasch« - er war schon fort, die kleine Schwester lief hinter ihm her.
    Im Schlafsaal lag Lucy Gunner bewegungslos, eine Sauerstoffmaske auf der Nase. Neben ihr war Robin.
    »Wie hast du es nur geschafft, so schnell hier zu sein?«
    »Helikopter.« Er lächelte nicht.
    »Wie geht es ihr?«
    Er schüttelte den Kopf. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn jemals so ernst gesehen zu haben.
    Ich rief Miss Nisbet vom Schreibtisch der Schwester aus an. »Bitte, vertrösten Sie die Patienten«, sagte ich, »ich komme bald und will nur noch hören, was mit dem kleinen Hawkins passiert. In zwanzig Minuten etwa.«
    »Ich versuche schon die ganze Zeit, Sie zu finden«, sagte Miss Nisbet. »Die Hebamme rief vor zehn Minuten an. Margaret Powell ist im zweiten Stadium.«
    »Es ist vielleicht besser, die Patienten nach Hause zu schicken. Dringende Fälle sollen heute nachmittag wiederkommen. Sagen Sie der Hebamme, daß ich gleich komme.«
    »Ich bin bei den Powells«, sagte ich zu Robin und wünschte ihm für Lucy Gunner Glück.
    Mrs. Hawkins in ihrem Morgenrock, Tränen in den Augen, hielt mich im Gang an.
    »Was wird mit Kevin gemacht?«
    »Dr. Hurst behandelt ihn. Er wird alles tun, was möglich ist.«
    »Wird er... «
    »Ich hoffe, Mrs. Hawkins.« Es tat mir leid, daß ich so knapp sein mußte. »Ich bin in schrecklicher Eile. Ich habe noch einen weiteren sehr dringenden Fall.«
    Ein älterer, elegant gekleideter Herr kam durch die Schwingtür. In der Eile hätte ich ihn fast umgerannt.
    »Verzeihung«, murmelte ich, einen Fuß bereits im Freien.
    »Einen Augenblick bitte, junger Mann«, sagte er. »Ich bin Harry Gunner.«
     

6
     
    Ich war überrascht. Lucy Gunner war zweiundzwanzig, dieser Mann aber

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