Auch sonntags Sprechstunde
Ich habe nur Angst, weil mein Herz so schlecht ist, und ich denke an meine Kinder und an meinen Mann. Glauben Sie, daß ich wieder gesund werde?< Nun, er war wie ein Engel, ein Engel vom Himmel. Er hielt meine Hand fest, und wissen Sie, was er sagte? >Mrs. Honeycomb<, sagte er, >bitte versprechen Sie mir, sich auch kein bißchen aufzuregen; Sie werden gesund werden, ganz gesund.<
>Mein Herz macht mir so große Sorge<, sagte ich leise, da ich nicht wollte, daß die Krankenschwester hörte, was ich sprach. Da beugte er sich zu mir und sagte: >Mrs. Honeycomb, Sie dürfen jetzt nicht mehr an Ihr Herz denken. Ich gebe Ihnen mein heiliges Versprechen, daß es Ihr Leben lang halten wird.< Nun, war das nicht wunderbar, mir so etwas zu sagen, Herr Doktor? Wirklich wunderbar!«
»Das war es tatsächlich«, sagte ich, »und nun kommen Sie, um sich wieder gesundschreiben zu lassen?«
»Und um Ihnen das hier zu bringen, Herr Doktor. Es ist nicht viel, aber ich weiß ja, daß Sie sie immer verlieren.« Es waren Handschuhe, zwei Nummern zu groß. Ich entließ sie mit herzlichem Dank und legte das Geschenk auf den Aktenschrank.
Merkwürdigerweise war die nächste Patientin Miss Chalker, meine Lieferantin für Hemden, Schlipse und Diverses.
Sie sah die Handschuhe und sagte: »Oh, da ist mir jemand zuvorgekommen. Na schön, da kann man nichts machen.« Sie kramte in ihrer Einkaufstasche. »Nur ein Pullover. Ich dachte, gelb ist für den Frühling das Richtige. Und der wird nicht mehr lange auf sich
warten lassen! Und ein hübsches Ziertüchlein für Ihren Braunen und etwas türkisches Konfekt.«
»Sie kennen meine schwachen Stellen, Miss Chalker. Vielen Dank. Und was kann ich für Sie tun?«
»Eigentlich nichts, vielen Dank, Herr Doktor, nur meine Tabletten, bitte, und dann verlasse ich Sie gleich wieder.«
»Ich werde auf jeden Fall mal Ihren Blutdruck messen.«
»Nun, wenn Sie darauf bestehen, Herr Doktor. Aber Sie wissen, daß ich Ihre Zeit nicht gern in Anspruch nehme, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Es gibt Leute, die wirklich krank sind und Sie nötiger brauchen als ich.«
Niemand konnte rücksichtsvoller sein als Miss Chalker.
Der nächste Besucher war Mrs. Ampleworth, die, hoch in anderen Umständen, ihr achtzehn Monate altes Töchterchen im Morgenmäntelchen hereinbrachte und sehr besorgt aussah.
»Ich habe die Kleine gleich mitgebracht, Herr Doktor«, sagte sie. »Falls es etwas Ernstliches ist.«
»Was hat sie denn?« Das Kind gluckste fröhlich.
»Mein Mann hat sie heute früh aus dem Bett genommen und ihr das Frühstück gegeben, ehe er zur Arbeit ging. Dann hat er sie ins Laufställchen zum Spielen gesetzt. Ich lag noch im Bett, die Kleine machte überhaupt keinen Lärm, so daß ich mich nicht sonderlich mit dem Aufstehen beeilt habe. Als ich dann zu ihr hineinschaute, hat mich beinahe der Schlag getroffen. Sehen Sie sie nur selbst an!«
Ich blickte über den Schreibtisch und konnte nichts Verdächtiges entdecken.
»Ihr kleiner Arm, Herr Doktor, sehen Sie doch, sie kann ihn nicht mehr bewegen.«
Nun, da sie mich drauf aufmerksam machte, bemerkte ich, ,daß das Baby den rechten Arm in einer eigenartigen, ja ungewöhnlichen Haltung hielt.
»Lassen Sie mal sehen!« Ich stand auf.
»Man bekommt es doch gleich mit der Angst zu tun und denkt an Kinderlähmung und so etwas. Sie ist übrigens geimpft, Dr. Letchworth hat es gemacht.«
Ich nahm das Baby von Mrs. Ampleworths Arm. Es protestierte nicht, als ich den Arm berührte, schien aber unfähig, ihn zu bewegen. Ich legte die Kleine auf den Tisch am Fenster und versuchte, ihr das Morgenröckchen auszuziehen.
»Ihr Mann ist offenbar sehr geübt im Knotenknüpfen«, sagte ich, als ich vorsichtig die Seidenkordel aufzubinden versuchte, die sich jedoch immer mehr verwirrte.
»Schneiden Sie sie doch auf, Herr Doktor, es ist ja nur ein Stück Kordel.«
Ich nahm die größte Schere, die ich finden konnte, und schnitt die Kordel durch. Dann befreite ich den gesunden Arm aus dem Morgenröckchen, das vorn mit einem rosa Häschen bestickt war, und setzte das Baby auf, um das Kleidungsstück ganz auszuziehen. Die Kleine lächelte mich glücklich an. Einen Augenblick stand ich überrascht vor ihr.
»Doch etwas Ernstes, nicht wahr?« flüsterte Mrs. Ampleworth besorgt.
Nach einigen Handgriffen hatte ich ihr das Kleidungsstück völlig ausgezogen und versuchte nun, die beiden Arme des Kindes über dessen Kopf zusammenzuführen, um die Reflexe zu
Weitere Kostenlose Bücher