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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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beobachten.
    »Kann sie ihn wieder bewegen?«
    Ich gab Mrs. Ampleworth ihr Kind zurück und auch den Morgenrock mit dem rosa Häschen.
    »Das nächste Mal bitten Sie Ihren Mann, nicht den Arm der Kleinen mit der Morgenrockkordel festzuschnüren, wenn er ihr wieder das Frühstück gibt.«
    »Sie meinen...?«
    »Das Kind war so fest zusammengeschnürt, daß es den Arm nicht mehr bewegen konnte.«
    »Ich komme mir ganz lächerlich vor.«
    »Keine Rede«, ich drückte auf den Telefonsummer, »auf Wiedersehen, Mrs. Ampleworth.«
    Nach einigen blassen Kindern, gebrechlichen alten Leuten, einem vereiterten Blinddarm, verschiedenen Bescheinigungen und einem halben Dutzend Injektionen machte ich mich auf den Weg zu den Visiten. Ich fuhr hügelaufwärts zu Mr. Dodge und seiner Gürtelrose. Oben angekommen, wurde ich zu scharfem Bremsen gezwungen, weil ein roter Sportwagen achtlos mitten auf der Straße stand. Ich konnte ihn nicht umfahren, da die Hügelstraße an dieser Stelle nicht nur besonders steil, sondern auch sehr schmal war und außerdem an der einen Straßenseite ein großer Möbelwagen stand. Ich hupte ungeduldig, aber die Frau in dem roten Wagen, blond, und -soweit ich - von Sylvia in die Geheimnisse der Pelze eingeweiht -feststellen konnte, in einem Ozelotmantel, schien Schwierigkeiten mit der Kupplung zu haben, die höchst merkwürdige Geräusche machte. Sonst herrschte völlige Stille. Die Bäume zeigten, wie ich bemerkte, erste Blütenknospen. Ich wartete einige Augenblicke, um dem Wagen gebührende Zeit zum Anfahren zu lassen, und benützte diese Wartezeit für einen Blick in mein Notizbuch, um die Visiten zu zählen, die ich an diesem Vormittag noch erledigen wollte. Ich beschloß, möglichst jeweils die geographische Lage wie auch die Eiligkeit der Fälle miteinander in Einklang zu bringen bei der Entscheidung, wen ich als nächsten aufsuchen würde. Als Frauenkenner - dieses Attribut gestand ich mir zu - hatte ich mit gut fünfundzwanzig Metern Abstand hinter dem roten Wagen gehalten; es gab keine Frau in meinem ganzen Bekanntenkreis, die es fertiggebracht hätte, an einer steilen Straße anzufahren, ohne eine gewisse Strecke nach rückwärts zu rollen. Worauf ich jedoch nicht gefaßt war, während ich flüchtig die Seiten meines Notizbuchs überflog und die Dame vor mir versuchte, den richtigen Gang einzulegen, um den Wagen flott zu machen, war das plötzliche Rückwärtssausen des Wagens, der gezielt in meiner Motorhaube landete, die sich zusammenschob und zur gleichen Zeit die Steuersäule mit beträchtlicher Kraft auf meine Brust stieß.
    Einen Augenblick war völlige Stille. Loch-in-der-Brust dachte ich, wenn nicht schlimmer. Während ich mich von dem nicht unbeträchtlichen Schrecken erholte, streckte die Frau im Ozelotmantel die überlangen, blaßbestrumpften Beine aus dem Wagen, zog das Fell des unglücklichen Tieres enger um sich und schob ihren Kopf durch mein offenes Wagenfenster. »Sie Ärmster«, hoffte ich zu hören, »sind Sie unverletzt? Sind Sie sicher, daß Ihnen nichts passiert ist?«
    Ihre grünen Augen waren dicht vor den meinen; eine Zigarette hing in einem Mundwinkel.
    »Was erlauben Sie sich eigentlich?« sagte sie, vor Wut zitternd.
    »Ich? Wieso?« Meine Stimme klang wie ein Piepsen.
    »Erst mit neunzig den Berg hinauffahren und dann noch in meinen Wagen hinein! Wissen Sie nicht, daß hier Geschwindigkeitsbeschränkung ist? Dreißig Meilen die Stunde! Sie können wohl nicht lesen? Ihnen sollte der Führerschein entzogen werden.«
    Ich sah mich hilfesuchend um. Die Straße war bis auf den Möbelwagen, bei dem sich kein Mensch zu befinden schien, verwaist.
    »Gnädige Frau«, sagte ich und zog die Steuersäule von meiner Brust weg, die außerordentlich schmerzte.
    »Lassen Sie diese geschraubte Anrede. Mein Mann ist Verkehrsrichter, der wird Ihnen das Handwerk legen. Er hält absolut nichts von Rowdies am Steuer. Ich hätte tot sein können! Es gibt zu viele Verkehrsunfälle auf unseren Straßen, viel zu viele, meistens werden sie von selbstsüchtigen Einfaltspinseln verursacht, die entweder betrunken oder so in Eile sind, daß sie wie die Verrückten fahren.«
    Mein Kopf und meine Rippen schmerzten. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie stampfte mit ihrem Krokodillederschuh auf, so daß ich meinen Mund wieder schloß. Dann zeigte sie auf ihren Wagen. »Sehen Sie nur, was Sie mit meinem Wagen angerichtet haben. Meinem funkelnagelneuen Wagen! Ein Geburtstagsgeschenk von

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