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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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Dokument in meine überfüllte Mappe für Eingänge. An diesem Tag schwor ich, mich, sobald die Praxis einmal etwas ruhiger sein würde, unbedingt mit allen Kräften dieser Mappe zu widmen. In ihr befanden sich die unvermeidlichen Rechnungen, Briefe von Patienten, Einladungen sowohl zu Patienten als auch zu verschiedenen ärztlichen Vorträgen und Kursen, Textilkataloge von Geschäften, in denen wir Konten besaßen und deren Kataloge den nahenden Sommer ankündigten, in dem ich nicht ohne eine Auswahl ihrer pflegeleichten, modischen, bügelfreien Freizeitkleidung würde auskommen können, die mir, wie sie versicherten, erst das wahre Lebensgefühl vermitteln würde. Es befand sich ferner in der Mappe ein umfangreicher Fragebogen, der Erhebungen über die Praxis des praktischen Arztes anstellte. Zweck der Umfrage war, die praktischen Ärzte Englands mit ihren Brüdern in den Vereinigten Staaten von Amerika zu vergleichen, wohin inzwischen so viele unserer besten Ärzte, einige meiner ältesten Freunde eingeschlossen, abgewandert waren.
    In dem angehängten Rundschreiben wurde eine amerikanische Gruppenpraxis geschildert, in der fünfunddreißig Ärzte von einer zentralen Praxis aus arbeiteten und eine Bevölkerung von fünfund-dreißigtausend Patienten betreuten. Die Praxisräume waren modern eingerichtet, sie kosteten einhundertfünfundsiebzigtausend Pfund und waren von der Arzt-Gruppe angemietet worden. Die Einrichtung schloß Büros, Laborräume und eine Röntgenstation ein sowie fünfundzwanzig Krankenschwestern und fünfunddreißig Sekretärinnen. Es wurde wie in einer Arztpraxis, die mit einer Ambulanzstation kombiniert war, gearbeitet, alle Ärzte konnten Betten in den örtlichen Krankenhäusern belegen; es klang wie das reine Paradies.
    Dem Schreiben nach zu schließen war jedoch nicht alles Gold, was glänzte. Die Patienten murrten, weil sie an diesem wunderbaren Platz keinen eigenen Arzt hatten, an den sie sich wenden konnten, und daß es unmöglich für sie war, einen Arzt zu einem Hausbesuch zu bewegen. Die Ärzte beschwerten sich, daß sie mit unnützen Klagen überschüttet und von den Patienten überfordert wurden. Dies klang mir schon vertrauter, und ich sah mir daraufhin den Briefwechsel an, den Miss Nisbet zu erledigen hatte und der von meinen — für amerikanische Begriffe — schlecht ausgestatteten Räumen mit meinen ebenso vernachlässigten Patienten geführt werden mußte, und beschloß, komme, was da wolle, das Rundschreiben vorläufig erst einmal zu vergessen, dessen Resümee wie folgt lautete: Um den Patienten den besten Dienst leisten zu können, ist es notwendig, daß sich der praktische Arzt jedem Patienten ausführlich widmen kann, dabei aber selbst Zeit zur Entspannung hat. Wenn alle Bedingungen - von denen es mehrere Seiten gab — zutrafen, sei eine harmonische Beziehung zwischen Arzt und Patienten gewährleistet.
    Mrs. Honeycomb saß geduldig vor meinem Schreibtisch. Ich lächelte, um eine harmonische Beziehung zwischen uns herzustellen.
    »Ich wollte Ihnen nur danken, Herr Doktor«, sagte sie, »daß Sie mir diesen reizenden Arzt für meine Gallenblase geschickt haben.«
    Reizenden Arzt? Wen nur hatte ich ihr geschickt? Lovell war in Afrika, Fleming erholte sich von einem Prostataleiden, O’Brien? Ja, natürlich, O’Brien. Ich erinnerte mich, es war mein alter Freund und Klassenkamerad Toby O’Brien gewesen.
    »Wirklich reizend war er«, sagte Mrs. Honeycomb. »Sie wissen ja, wie sehr ich mich wegen meines Herzens vor dieser schrecklichen Op... «
    Dazu hatte sie auch allen Grund gehabt; ein unzulänglicher! Kreislauf war ein ziemliches Risiko bei einer Operation.
    »...  er war wirklich reizend, ja, und da ich mir sowieso neue Tabletten bei Ihnen holen muß, möchte ich Ihnen danken, daß Sie ihn geschickt haben. Ich muß Ihnen erzählen, was er sagte, als man 1 mich zur Operation fertig machte. Wissen Sie, wie man sich fühlt, wenn einem diese schrecklichen weißen Strümpfe und dieses: Nachthemd angezogen werden? Mein Herz schlug so heftig, Herr ' Doktor, ich bin sicher, daß man es bis sonstwohin hören konnte. Da kam Dr. O’Brien - ich finde, das war nett von ihm, er machte das sicher nicht bei jedem Patienten -, setzte sich auf mein Bett - I die Krankenschwester wurde gleich richtig eklig wegen des Bettüberzugs -, setzte sich also auf mein Bett und nahm meine Hand. >Dr. O’Brien<, sagte ich zu ihm. >Hoffentlich denken Sie nicht, daß ich nicht mehr weiß, was ich rede.

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