Auch unter Kuehen gibt es Zicken
durch Buchen und Ahorn, und ab und zu einer Kolonie Fichten. Der Weg schraubt mich in die Höhe wie ein Aufzug. Die ganze Zeit sieht man ins Tal runter. Die Oberlandbahn pfeift, und ab und zu fällt ein Sonnenstrahl auf den Lenker eines Rennrads und von dort wie ein Lichtblitz rauf zum Mari-Steig. Das ist ein guter Weg, sich aus dem Tal zu schleichen. Ich sehe, was ich zurücklasse. Mich sieht keiner. Ich geh unter einem Blätterdach und strahlend blauem Himmel.
Am Zaun hör ich schon die Glocken. Billy spitzt die Ohren. »Alm«, erkläre ich ihm.
Aber er ist ja nicht blöd. »Gams!«, sagt er.
»Nein«, sage ich.
»Wwwfff!«
»Brav sein – oder wir kehren sofort wieder um!«
»Grwf.«
»Wua ,wua-wua?«
Die kleine Nika weiß noch nicht, was eine Gams ist. Kälber und Kühe haben wir geübt, drunten im Tal. Ich fürchte, dabei haben wir die dort ansässigen Oberlandler nicht wirklich in die Lage versetzt, wahres Verständnis für uns aufzubringen. Halbstundenweise hin und her zu laufen vor einer fasziniert glotzenden Herde Kälber – nicht das, was ein vernünftiger Oberlandler macht, mittwochnachmittags. Aber irgendwo muss ich anfangen. Die Kälber finden uns gut. Wir sind wie KiKa schauen. Krümelmonster »Wua, wua-wua!«
Die Gams dreht langsam ihren Kopf zu uns runter. Steil über uns steht sie.
»Grwfff«, macht Billy, weil er’s nicht lassen kann.
»Sch-scht!«, mache ich, damit er still ist.
»Wua, wua-wua!«
Immer noch springt keine von den Gams davon. Ich frage mich, wie das sein kann, dass sie nicht davonlaufen. Sie müssten doch Angst vor Menschen haben.
Ich hör einen leisen Gedanken. Manche Menschen vibrieren, als würden sie die Luft zerhacken. Wie elektrische Geschosse. Die Gams schaut mich an. Ich lächle, und die kleine Nika macht Sitz vor Ehrfurcht.
Du störst hier heroben nicht. Die Gams dreht sogar neugierig ihren hübschen Kopf zu uns. Willkommen daheim.
Dann trabt sie, ganz entspannt, mit ihrem Rudel hinauf bis zum Latschenfeld unterm Grat.
»Fuß!«, flüstere ich, und wie zwei Uhrzeiger reihen sich meine Hunde hinter mir ein.
Der Mari-Steig führt nur noch ein kurzes Stück durchs Huabamoos und dann geradeaus auf die beiden Almhütten zu. Die uralten Holzbalken leuchten rotbraun in der Sonne. »Griaß di, Alm«, sage ich leise. Und dann, ganz unverhofft, fühle ich mich umarmt.
Draußen an der Tür hängt ein aus Gräsern gebundenes Herz. Weiße Tupfen Schleierkraut auf altem Holz. Ich klopfe, neben dem Herz.
Niemand macht auf.
Aber der Billy fängt an zu kläffen, als hätten wir einen Einbrecher vor unserer Hütte.
Als Erstes sehe ich die Kuh.
»Ja, was is’n des!?«, rutscht’s mir raus. Sie ist hellbraun gefleckt. Ein immenses Tier. Brustumfang wie ein Nilpferd.
»Ah! Karin! Griaß di. Des is die Selma.«
Hinter der Kuh her marschiert ein fescher Almbursch mit Hut und kurzer Lederhosn.
»Hallo, Selma.«
Und Hufe hat die!
»I bin der Charly«, lächelt der fesche Bursch. »Der Mo von der Gitti.«
» ... is die Gitti verheirat’?«, frage ich. Hochintelligent.
»Ja«, sagt er. »Mit mir.«
»Ah. Herzlichen Glückwunsch.«
Charly lächelt mich trotzdem weiter an. Entweder die Gitti hat ihn vorgewarnt – hey, die sagt manchmal komische Sachen, da denkst dir am besten nix, weil sonst is sie echt ganz nett –, oder der Charly ist einfach ein durch und durch höflicher Mensch. Einer von denen, die so selten sind. Die kein Urteil fällen. Einer von denen, die wissen, dass wir alle irgendwie schief geraten sind – na und.
Ich binde meine Hunde ans Terrassengeländer und folge Charly und seinem Nilpferd um die Hütte rum, zum Stall.Es gibt eine kleine, niedrige Tür an der Seite und eine etwas größere an der hinteren Giebelwand. Dort hinein zwängt sich die Kuh. Noch zwei Zentimeter breiter, und man müsste befürchten, dass sie die Hütte niederreißt. Mit ungebremster Wucht stürmt die Kuh auf die Trennwand zu, die den Stall in zwei Abteile teilt. Hinter dieser Trennwand stehen elf Kälber. Satt und kugelrund mampfen sie ihr Heu. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand oder etwas diese massiven alten Balken so einfach plattmachen kann. Außer diese Kuh.
Aber nichts passiert. Selma rammt ihren überbreiten Schädel in einen Eimer voll Kraftfutter. Sie malmt und prustet, während die zierliche Gitti ihr eine Kuhkette um den Hals legt. Einen Hals, der dicker ist als die Gitti.
»Den Kübel richt’st besser immer scho vor’m Melken her.« Strahlend
Weitere Kostenlose Bücher