Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Viecher.
Sie zählt auf: elf Kälber, 33 Koima und eine Milchkuh. Die Gitti will nämlich käsen.
Das blüht mir dann also auch im Juli. Käsen. Vor mir sehe ich große Kupferkessel und alte Männer mit weißen Druidenbärten, die etwas brauen, das nur mithilfe von uraltem Wissen und durch penibelstes Einhalten geheimnisvoller Rituale gelingen kann. Ich sehe Käsekeller. Regale, die sich biegen unter goldenen, dicken Laiben. Die nur so geworden sind, weil jemand weiß, wie man sie pflegt.
»Ach, des is ois koa Zauberei«, lacht Gitti, »do kimmst’ scho eina.« Ich lächle, nicke, und während ich versuche, den Schlaf aus meinen Augen zu reiben, schiebt sie mir die Kaffeekanne rüber.
Dann sagt der Franzl: »Pack ma’s!«
Alle stehen auf, ich nehme meinen Almstecken in die Hand, als wäre alles gestern gewesen. Dazwischen ein paar Jahre, einfach verschwunden.
Wir fahren mit zwei Autos bis zur Talweide am ›Hinter’ Berg‹.
»Auf geht’s, Kuhdi’n, auf d’Oim roas ma!«, schreit der Franzl seinen Viechern entgegen.
Die stehen schon da wie gespannte Federn. »Mmmmmm! Mmmmm! Muuuuhhh!!«
»Die wissen genau, was los is«, sagt Tante Genoveva.
Franz macht den Zaun auf, und Onkel Alfons hat noch nicht einmal »Hopp« gesagt, da trampeln sie schon los. Die Großen voraus, die Kleinen hinterher. » MMMMMu-h! MMMMuuuh! Mmööööh .«
Und wieder einmal geht’s im Galopp über sumpfige Wiesen, über einen Bach, aber nicht bei der Brücke, voll rein in dieBrennnesseln und ins Unterholz. »Passt! Des is a Abkürzung«, schreit Franzl, dann gnadenlos durch einen Stacheldrahtzaun, mitten hinein in eine hysterische Mutterkuhherde, und bis unsere 33 Almkoima, die Kälber und ihre Mütter wieder auseinanderklamüsert sind, reicht’s eigentlich vom Laufpensum her. Und der Berg liegt noch vor uns.
Um halb neun erreichen wir mehr oder weniger geschlossen den Weiderost. Hier, auf 1300 Metern, fängt das Almgebiet an. Ich bin konditionell ziemlich am Ende. Ein paar Koima sehen aber noch schlechter aus. Eine hat die Augen ganz verdreht, und die direkt vor mir streckt die Zunge aus dem tropfenden Maul. Ich befürchte einen Kreislaufkollaps und fühle mich seltsam hilflos. Wie wird das werden, allein auf einer Hochalm? Schaff ich das? Niemand da, kein Hias, den ich alles fragen kann, und ich weiß nicht einmal, ob ein Rind auch einen Hitzschlag erleiden kann.
»Sauhoaß, ha? Scheiß Klimawandel«, keucht Seppi, an mir vorbeijoggend.
Selten hat mir jemand so aus der Seele gesprochen.
Franzl schiebt die letzten zwei Viecher am Weiderost vorbei und macht den Zaun hinter ihnen wieder zu. Noch ein paar Meter bis zum Bach. Und dann is gut. 33 Köpfe fallen ruckartig graswärts. Schnaufen, rupfen, mampfen.
»G’schafft!«, strahlt Gitti. »Schau!«
Zwei Hütten stehen nebeneinander, mitten in einem Kessel, der sich weit und hoch vom Risserkopf bis zur Aiplspitz zieht. Annika hat recht. Sonnengelb und grün und himmelblau. Die Klarau.
»Kimm, richt ma a Brotzeit her.« Gitti läuft mit wippendem Pferdeschwanz zur Hütte, sperrt auf, saust zum Brennholzstapel vor der Stallwand und heizt ein. »Mach ma an Kaffee?«
Ja. Mach ma.
Eine verbeulte fahrende Allradblechbüchse rollt vor die Hütte. Die Franzi mit Bub und Schwiegermama. Sie hat Brezen und Weißwürst’ für alle dabei. »Heey, jetz’ wart’s danndoch ganz schön schnell!«, sagt sie, stellt alles auf den Tisch, der Franzl nimmt seinen Sohn auf die Schultern, und die Franzi läuft im Trab über den steinigen Hügel hinter der Hütte, Schnittlauch holen. »Auf der Alm wächst alles, was man braucht«, lacht sie. Es ist ein dunkelgrüner, scharf riechender Schnittlauch. Völlig anders als der ausm Kräutertopf vom Penny.
Wir lassen das mit dem Kaffee, weil das Feuer im Ofen ewig nicht brennt. Ich tauche meine Butterbrez’n in den Schnittlauch.
Das Leben ist perfekt. Immer und überall.
Ich sitze auf der Terrasse vor der Hütte, die Sonne im Gesicht und die warmen Balken der Hauswand im Rücken. Ich hör zu, wie alle durcheinanderreden, laut und schnell, und lachen, und um mich rum schwebt das Bimm-bimm-bimm der Kuhglocken.
Ich fühle, wie ich das alles einatme. Einen neuen Almsommer.
Sonnengelb und grün und himmelblau.
Freitag, 5. Juli
Die Zeit ist verflogen.
Ich geh über den Mari-Steig. Zuerst durch die brettebene Talweide der Geißbauern-Alm, am leeren Bach entlang, bis auf einmal das Wasser wieder plätschert, und hinauf auf dem schmalen Pfad
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