Auch unter Kuehen gibt es Zicken
wie sie die Augen verdreht und ihrem Liebsten lächelnd Daumen-hoch-Zeichen macht. Und er ihr einen Luftkuss zuwirft. Als wäre schon alles ausgemacht.
»Annika!«, schnauze ich.
»Jetzt überleg’s dir einfach«, sagt sie. »Ich hab das Gefühl, du musst da hin.«
»Warum sollt ich da hinmüssen?«
»Vielleicht... triffst du drob’n auf der Alm den Mann deines Lebens.«
»Nein.«
Ich lege auf.
Sie schreibt mir trotzdem eine SMS mit der Telefonnummer vom Bauern. Sonnengelb und grün und himmelblau ist die Alm, hör ich sie flüstern. Barfuß über Almwiesen laufen. Und die Arme weit wie Flügel im Gipfelwind.
Gleich da drüben. Ich erwische mich, wie ich auf meinem Baumstumpf stehe und rüberschau auf die Klarau.
Trotzdem. Ich mach’s nicht. Nein. Auf keinen Fall.
Es wird Donnerstag, Vormittag, zehn Uhr. Und ich wähle die Nummer, die Annika mir aufs Handy geschickt hat. Ich rufe bei ihrem Bauern an.
Eine junge Frau geht ans Telefon. »Engl?« Die Stimme kenn ich irgendwoher. Und schon sagt sie: »Karin, bist du des?«
»Ja ...«
»Da is die Franzi ... woasst’ no?«
Almlehrkurs. Wir sind drei Tage nebeneinander gesessen. Von den Vorträgen über Parasiten, Tiergesundheit und Mineralstoffzufütterung auf der Alm ist nicht alles hängen geblieben. Dafür einige von Franzis Geschichten. Einmal, nach durchzechter Nacht, sind fünf Feuerwehrler auf ihr Hüttendach gestiegen, Blitzableiter kontrollieren. Aber runtergekommen sind sie nicht mehr. Eingeschlafen im Rausch. Oder die zwei Polizisten, die einen Trainingslauf zum Aiplspitz-Gipfel machen wollten, aber dann hat’s ihnen im Schlamm die Schuhe von den Füßen gezogen. Einer hat strumpfsockig ins Tal zurücklaufen müssen. Und am ersten August die Almmeisterschaft im Plastiktütenrodeln, bei einem halben Meter Neuschnee.
»Kimm vorbei!« Ihre Stimme sprüht Funken. Sie wohnt gleich im nächsten Dorf.
Also radle ich rüber.
Sie kommt mir schon entgegen. Einen zauberhaften kleinen Buben auf dem Arm und schwanger. »Kimm eina!«
Sie läuft mir voraus in das große Bauernhaus, vorbei an vier Waschmaschinen, drei Kühlschränken, über den schattigen Steinboden in ihrem langen, breiten Hausgang, und hinein in die Küche. Es riecht nach Schokokirschkuchen.
Da wohnt sie jetzt also, die Franzi. Hat sie doch glatt ihren jungen Almbauern geheiratet.
»Herzlichen Glückwunsch«, sage ich.
»Danke!«, lacht sie. »Hättma auch nicht gedacht, dass ma uns so wieder treffen, oder?«
Nein, hättma nicht. Wie klein die Welt ist. Und wie groß. Wie sie manchmal still steht. Und wie sie manchmal vorbeirast, im Überschall.
»Wie is da’n ganga?«, fragt sie, während sie mir eine Tasse Kaffee auf den Tisch stellt, den Kuchen aus dem Backrohr zieht und ein 25 Zentimeter breites Stück heraussäbelt. Für mich.
Ich mampfe »Gut. Ich war in Peru …«
Und die Franzi erzählt von dem alten Schamanenplatz droben auf der Alm. Eine kreisrunde Lichtung, völlig eben, mitten im steilen Wald. Exakt in der Mitte steht ein dürrer Baumstamm. Und exakt in den vier Himmelsrichtungen plätschern Quellen von der Lichtung in den Wald hinein. »Irgendwie passt die Alm zu dir.«
Franzi grinst mich an und zeigt auf den Kuchen. »Oans geht no, oder?«
Wir mampfen synchron.
Dann ist es ausg’macht. Ich geh bei der Franzi auf die Alm.
Es ist ja nur ein halber Sommer.
1. Juni. Annika hat eine Postkarte geschrieben. Es ist ein Foto von ihr, Severin und dem Landrover, gerade mit der Fähre aus Genua in Tanger, Marokko, angekommen. Sie trägt ein lila Tuch im Haar. »Wir kommen, Madagaskar!« Hat sie hinten drauf geschrieben. Und: »Das Leben ist perfekt. Jetzt. Merk dir das!«
Auf d' Oim roas'n
Samstag, 5. Juni, 5 Uhr in der Früh
Unter der Decke hängt der Dampf von drei Maschinen Kaffee und zwei Streuselkuchen. Der schwere Ahorntisch in Franzis Küche ist gesteckt voll. Ich werde mit einem laut schallenden »Guad’moang« begrüßt.
Die Franzi stellt alle vor: Den Franzl, ihren Mann, den Franz, ihren Schwiegervater, die Rosi, ihre Schwiegermutter. Onkel Alfons, Tante Genoveva, die Cousins Hansi und Seppi.
Und die Gitti und ich, »d’ Oimarinna«.
Heute ist Almauftrieb.
Früh, dieses Jahr. Das Gras steht kniehoch droben auf der Alm, sagt der Senior Franz. Alles, jeder Gedanke, alles, was wir reden, drängelt sich zum Berg. Auffe roas ma.
Die Gitti kann’s kaum erwarten. Sie hat ihr Zeug seit einer Woche schon droben auf der Alm. Und jetzt endlich kommen auch die
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