Auch unter Kuehen gibt es Zicken
tätschelt Gitti ihre Kuh. »Dann hast’ bestimmt koa’ Problem mit der Selma. Des is a gaaaaanz a braaaave, gell, Selma!«
Dann kommt die Gitti auf mich zu. »Griaß di.« Ihre kleine Hand drückt meine, und ich staune, mit wie viel Kraft diese fragilen Finger zupacken.
»Des kimmt vom Handmelkn«, lacht sie. »Host du scho ’moi Hand g’molken?«
Ich schüttle den Kopf.
Selma hat den Eimer leer gefressen. Mit einem gierigen Meeehr! im Blick reißt sie ihren riesenhaften Schädel nach hinten und schnauft Gitti an. Die lacht. »Nix da. Jetz’ wird g’arbat.«
Gitti putzt das Euter und klemmt einen weißen Plastikeimer zwischen ihre Knie. Sie hockt auf dem Melkschemel wie festgewachsen. Die vorderen zwei Zitzen gepackt, einmal, zweimal angemolken, den Eimer mit den Knien unters Euter geschoben, Stirn an den Kuhbauch gelehnt. Bsch-bsch, bsch-bsch, bsch-bsch-bsch-bsch spritzen lange weiße Strahlen Milch in den Eimer. Eine Minute später schwimmt schon eine weiße Milchpfütze im Eimer, gekrönt von zarten Milch-Luftblasen. Noch eine Minute, und die Pfütze ist einige Zentimeter hoch und hat einen Hut aus Schaum auf.
Bsch-bsch-bsch-bsch, bsch-bsch-bsch-bsch.
Dann wechseln Gittis Hände zu den hinteren beiden Zitzen und legen einen Zahn zu.
Zehn Minuten. Die Gitti schreit: »Charly! Schaust du mal?«
Wie von Zauberhand aus dem Unsichtbaren taucht Charly in der Tür zwischen Kälberabteil und Stube auf. Zart küsst er Gittis Stirn, packt Selmas linke hintere Zitze, melkt zwei kräftige Striche, dann die andere Zitze, betastet mit einem Griff das Euter und sagt stolz: »Hastes eh leer. Super.«
Gitti strahlt, nimmt den weißen Plastikeimer am Henkel und trägt ihn in die Stube. Die Milch schwappt beim Acht-Liter-Strich auf der weißen Plastikeimer-Skala. Charly kippt sie durch den Seicher in die Kanne und fragt: »Soll ma dann ’n Kaffee machen?«
»Ui, ja!«, jubelt Gitti. »Ich schmeiß bloß noch schnell die Selma raus.«
Ich bin’s gewohnt, dass die Kuh, sobald sie von der Kette gelassen wird, zur Tür hinausrennt.
Nicht die Selma.
Die Selma bleibt in der Stalltür stehen, getragen von Beinen wie Betonpfosten und Hufen wie Ufos. Und schaut.
Dabei erklärt mir Gitti die Almroutine:
»Die Selma kommt in der Früh von selber zum Stall. So um sieben. Außer, wenn’s richtig schlecht Wetter is, da musst’ as holen.
Die Kaiben musst’ halt in der Früh waschen und rauslassen. Am Nachmittag kommen’s dann eh von allein, san brave Kaibe’n. Aber wenn’s schon um zwei dastehen, lasst as no ned eina. Die soll’n a bissl rumlaufen, san ja schließlich auf der Alm.«
Jedes Kalb kriegt einen Becher Kraftfutter und »a Handvoll Heu«. Dabei zeichnet Gitti mit ihren Händen einen mittelgroßen Haufen in die Luft. Ich lache, denn so hätt ich eine Handvoll jetzt auch bemessen.
Wasser und Brunnentröge gibt’s fünf. Den vor unserem Stall, den vorm Nachbarstall, zwei oben auf dem Weg zur Aiplspitz und einen weiter draußen, am ›grünen Emad’l‹. Unterhalb der Hütten gibt’s keinen Wassertrog, aber da ist der Bach.
Zaun gibt’s einen langen, von der Hirschau im Uhrzeigersinn bis rauf zum Risserkopf, und droben weiter am Kessel entlang. Dann gibt’s noch einen kurzen Zaun vom Hochlatsch bis zum Aiplspitzgrat. Der ist die Grenze zur Moosboden-Alm. Der Rest ist natürliche Grenze. Aiplspitz, Grat, Joch und Jochabtrieb.
»Aha«, sage ich mit großen Augen. »Und da fallen die nicht runter?«
»Am besten denkst gar nicht dran«, sagt die Gitti.
Aber wenn wir schon beim Thema sind, bringen wir’s gleich hinter uns.
»Wenn’s g’fährlich wird, dann entweder bei den Risserkopf-Felsen ...« Sie zeigt nach links. Schattige Steilwand und drunter grobes, vermoostes Geröll. »Und da unterm Paradies muss ma halt auch immer a bissl schaun.« Eine grüne Schneise zwischen zwei Felsen, und ganz oben ein paar Latschenbüsche, die über das Gras hängen wie ein Zeltdach. Auch steil. Wo man hinschaut, steile Grasrinnen. Mich fröstelt’s.
»Ach, da musst’ nach G’fühl gehen«, sagt Gitti. Denn auch wenn du 24 Stunden am Tag über die Alm rennst, gibt’s keine Garantie. Es gibt keine absolute Sicherheit.
»Du musst dir einfach sicher sei, dass ois guad is. Dann is aa so.« Gitti klatscht in die Hände und verscheucht die dunklen Geister mit einem Lächeln. Dann klopft sie auf Selmas Hintern. »Hopp! Ausse!« Die Selma steht wie ein Denkmal.
»Hat der Charly scho g’sagt, dass ma g’heirat
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