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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Michalke
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Selma schaut mich an – jetz’ is sie überg’schnappt. Hast du auf die Uhr geschaut!? Draußen is dunkel. Und greislig!
    Das seh ich! Und den Nebel seh’ ich auch! Ich hasse nasskalt. Trotzdem aufstehen!
    Ich dreh’s Wasser auf. Wo ist die Bürste – ah, da oben auf dem Balken ... ich greife daneben, und die Bürste fällt mir auf den Kopf wie ein Ziegelstein. Und landet mitten in einem Kälberfladen. Was für Haufen macht ihr eigentlich? Wie eine ausgewachsene Kuh ! Fresst nicht so viel. Klein Selma sieht schon aus wie ein Heißluftballon!
    Ich klaub die Bürste aus dem Dreck, zieh sie einmal mit Schwung nach hinten durch, an der Wand macht es leise platsch, und dann richte ich den Wasserschlauch auf das Hinterteil der armen Heidi.
    Ich schrubbe schweigend. Nur den Regen und den Wasserschlauch hört man.
    Dann bin ich fertig. Kälber raus!
    Ich schiebe jedes einzeln durch die Tür. Wie immer. Klein Selma entkommt meinem Griff, wie immer, und versucht, den Müllsack zu fressen. ’s Schlecki entdeckt, dass es viel angenehmer ist, ihre Hörndl an mir zu wetzen anstatt an der Stalltür, weil meine Rippen nachgeben und der Türstock nicht, und während ich das über mich ergehen lasse, schmeißt ’s Blondie draußen den Grill um. »Schluss jetz’ und raus!«, poltere ich. Energisch zeige ich zum offenen Zaun. RAUS !
    Wie Erstklässler, die keinen Bock auf Textaufgaben haben, trotten sie durch den Zaun und über den Wiesenbuckel außer Sicht. Ich hör ihre Glocken zum Wald bimmeln. Ätz-zend! Da geht der Wii-hiind!
    Und da hab ich kurz gedacht: Lass sie einfach drin. Aber einen ausreichenden Grund? Nein. Wetter wie immer. Weder Schnee noch Hagel, noch Sturm. Und wir sind auf der Alm und nicht im Wellnesspark. Also Kälber raus.
    Vor dem Ofen schmiere ich Silikoncreme auf die schweren Bergschuhe, zum Abdichten, trinke noch eine Gnadentasse Kaffee, lauwarm … Und dann – Selma suchen. Irgendwo ganz weit weg, das ist mir klar, wenn ich nur aus dem Fenster schau.
    Und in die falsche Richtung werd ich heute auch laufen. Denn ich habe keine Ahnung, wo die Kühe gestern Abend hin sind.
    Fiona weiß jeden Abend, wo ihre Kühe hingehen. Und ich? Bin ins Tal gefahren, einkaufen. Nutella, Melonen, frischen Salat. Dann habe ich meine Wadel mit Heißwachs enthaart. Geduscht. Dekadenten Luxus gelebt.
    Ich schnüre den Kragen meiner Regenjacke zu. Ich geh hinter die Hütte und durch den Risserkopf-Kessel. Keine Kuh. Ich horche. Bimm. Bing-bing. Bimm. Der Klang hängt richtungslos in der Luft. Bing-bing ... Weiter oben.
    Bimm. Bing-bing.
    Oder? Bing, bing. Manchmal kommt’s mir vor, als wär die ganze Klarau eine Klangschale.
    Rauf zum Bergsteigerschild. Da bin ich gleich.
    Wieder horche ich. Und hör kein Geräusch. Keine Glocke, keine Selma. Nichts.
    Das Gebimmel war ein Nebelecho. Wenn das Bergsteigerschild da nicht wäre, wüsste ich nicht, wo ich bin.
    Die Luft ist so weich plötzlich. Alles fühlt sich an wie Schmierseife. Schmierseifenstille.
    Ich höre mein Ohrensausen. Es verschlingt alles andere. Ich wünsche mir ein Geräusch. Eins, das meine Ohren nehmen können und anfassen und umdrehen und erkennen, was es ist. Wo ist eigentlich der Wind? Und der Regen? Welches Geräusch macht der Wind sonst?
    »Seeeel-maaaa!«, schreie ich durch das Ohrensausen.
    Nichts.
    So staad.
    Warum hat der Wind plötzlich aufgehört? Hab ich mir den vorher eingebildet? Und der Regen? Meine Jeans ist schon durchnässt. Ich schreibe in Gedanken Plastiküberhosen auf meinen Einkaufszettel. Aber jetzt regnet’s nicht mal mehr. Jetzt is nur staad.
    »Seeel-maaaa!«
    …
    Also runter. Hinter ins Huabamoos. Ist auch viel logischer, ’s Huabamoos ist die Regeninsel. Dort sind sie immer, wenn’s regnet.
    Aber auch im Huabamoos ist es still.
    Gibt’s das?
    Ich geh weiter, durch den Wald mit 100 Lichtungen hinterm Huabamoos. Nach der vierten Lichtung hab ich das Gefühl, dass ich hier noch nie war.
    »Seeel-maaa!«
    Ganz hinten. Auf der letzten Lichtung, gleich am Almzaun stehen sie. Alle. Verteilt zwischen ein paar Fichten, einer großen Tanne und ab und zu einem alten Ahorn. Die Kleinen kauern unter den Zweigen wie unter hängenden Zeltdächern und glotzen mich an. Uns friert’s!
    Ja, ich weiß, scheiß Wetter, mich friert’s auch.
    »Selma, komm, geh ma«, sage ich.
    Selma schielt nicht mal. Sie frisst. Rupf-rupf. Rupfrupfrupf. Mampf. Rupf-rupf. Schlucken. Weiterrupfen. Nicht mal eine Pause zum Kauen.
    »Selma, geh ma.«
    Nein.
    »Melken,

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