Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Selma.«
Morgen wieder.
»Selma!!«
Ich stemme mich gegen ihr Hinterteil. »Selma! Geh ma!!«
Selma dreht sich um und geht weg von mir. Und damit auch um 180 Grad weg vom Stall.
Heute nicht.
»Doch. Wir geh’n jetzt«, sage ich. »Hopp!«
Mampf, mampf.
» HOPPP !!«
Rupf. Mampf. Rupf.
Zack! Macht der Stock auf Selmas Hintern.
Nichts.
» SELMA !!«
Ich geh nicht. Und wenn du dich auf den Kopf stellst.
Eineinhalb Stunden später bin ich wieder in der Hütte. Meine Jeans hängt überm Ofen. Kalte Tropfen fallen von den Hosenbeinen. Ich setz mich in der Unterhose auf die Eckbank und trinke den Rest Kaffee von in der Früh. Schwarz.
Heute gibt’s keine Milch.
Selma hat gewonnen. Ich habe mich auf den Kopf gestellt. Und sie ist nicht mitgegangen.
Mistvieh. Jetzt mach ich das wirklich nicht zum ersten Mal. Ich mag sie. Wir haben uns immer geeinigt. Auf das, was ich wollte. Weil ich die Sennerin bin und sie die Kuh, und daher ich bestimme, was gemacht wird.
Heute hat die Selma entschieden. Change in plans.
Und irgendwie … Es ist schon August. Die Milch reicht nicht mehr wirklich, um weiter früh und abends zu melken, stur nach Plan. Es ergibt für die Selma keinen Sinn, wegen meinem Stallplan von ihrem Frühstück weggescheucht zu werden. Nachmittags schaut sie dann ja eh vorbei.
Selma hat recht.
Heute bricht mein System zusammen. Meine Almroutine hat ihren Sinn verloren. Die hat mir einen Rahmen gegeben, in den mein Leben passt. Aus dem ich nicht rausfallen kann. Und … der die Zeit aufhält. Wenn die Kuh bald trockengestellt wird – kommt auch das Tal wieder näher. Ob ich will oder nicht, werden sich die Dinge ändern. Die Selma würde laut lachen über derart zaudernde Gedanken.
Willst du einen Zaun um dein Leben und täglich das gleiche Theaterstück aufführen? Nein.
Das Leben ist eine Reise. Ein Fluss. Nichts, was du tust, kann ihn aufhalten. Also so viel Intelligenz hätte ich dir schon zugetraut.
Es ist schon zehn. Ich muss meine Mädel am Segelflugplatz abholen. Ich frage mich kurz, ob es möglich wäre, mit dem Segelflieger von Köln nach Mieseben zu fliegen. Aber dann hätten sie kein Gepäck dabei. Und keinen Hund. Lia kommt nämlich mit ihrer Afghanendame Cansin.
Ich habe gerade noch Zeit, Billy an beiden Ohren zu nehmen und zu sagen: »Sei bloß brav zu ihr. Sie ist der Gast!«
Und dann muss ich sausen. Mit einem Sprung über die Mistgrube, das ist der schnellste Weg, hinein in den Super-Golf, starten, fahren.
Die Mädel rufen schon an. »Wir stehen an so ’nem Schild. Geißbauern-Alm. Stimmt das?«
Ja, stimmt, bin gleich da.
»Toll! Wir haben ’n Kuchen gebacken!«
Ich muss grinsen. »Welchen?«
»Kirsch.«
Ja, das können wir auch. Kuchen backen. Und Lieder schreiben, einen 7000er besteigen, Bäume fällen, ganze Häuser renovieren, tibetische Gebetstexte rezitieren und in Flip-Flops auf die Aiplspitz laufen. Sogar einen Spreizlzaun werd ich irgendwann noch bauen. Nur, weil’s schön ist, um mein Haus herum vielleicht einmal.
Ich schau in den Rückspiegel, zufällig. Und da bin ich. Ich erkenn mich wieder. Ich hab Licht um mich rum, auch wenn’s regnet. Ich hab den Sonnenschein zurück.
Der Golf fährt drunten aus dem Wald raus, fast als würde er tanzen. Ich mach das Gatter vor dem Segelflugplatz auf, fahr durch und zieh’s hinter mir wieder zu. Wir sausen vor zum Parkplatz, ich muss den Golf zurückhalten, sonst schlägt er Pirouetten. Und da winken schon die Mädel.
»Hi!«
»Mann, du bist echt in den Bergen!«
»Man fühlt sich gleich wie Heidi.«
»Geiler Golf.«
»Habt’s an Stau g’habt?«
»Sind das schon deine Kühe da vorne?«
»Wo haste denn die Tölen? Auf der Hütte gelassen?«
»Ich hab sooo viel Gepäck dabei.«
»Ah, schön!«
»Haste schon Käse gemacht heute?«
»Hey, Almomat, lass dich mal drücken.«
»Gehn die Taschen in’ Kofferraum?«
»Krass, Mädel, wolltet’s ihr a Nordpolexpedition machen?«
»Kannst du den Hund auf’n Schoß nehmen?«
»Is des Kirsch-Streusel? Den Kaffee müss ma leider schwarz trinken, heut is mir die Kuh nicht mit in’ Stall gegangen. Habt’s Gummistiefel dabei? Ich hab zwei Paar, wenn’s is. Hama alles? Nimmst du den iPod mit? Es gibt aber kein’ Strom.«
»Kein’ Kühlschrank?«
»Naa.«
»Und der Prosecco?«
»Keller.«
»Maaannn, die hat auch noch ’n begehbaren Kühlschrank.«
Und dann fahren wir. Den gleichen Weg zurück, den ich gerade runtergefahren bin. Und völlig anders. Es
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