Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Fiona.
»Is ja guuut, Stella, komm, geh heeeer.«
Stella kapituliert für einen Atemzug. Der genügt, um den Strick mit der Schlaufe über ihre Schnauze zu ziehen, einfädeln, loses Ende durch den Eisenring in der Wand ziehen. Den Strick um beide Fäuste gewickelt, ein Fuß an der Wand. Fiona legt mit einem sicheren Griff die Kette um Stellas Hals. Ruhig sagt sie: »Gut.«
Ich bind den Halfterstrick ganz kurz.
Das Horn sieht nicht gut aus. Matsch und Splitter. Sie muss direkt draufgefallen sein. Blut tropft im Viertelsekundentakt auf den Boden. Fiona holt Alkohol, Mullbinden, Bandagen und eine Stirnlampe. Ich halte Stellas Kopf mit aller Kraft, die ich habe. Fiona spült und säubert das verwüstete Horn. »Ich krieg nicht den ganzen Dreck raus«, seufzt sie.
»Wurscht«, sage ich. Steine, Grashalme, Erde, wie soll man das alles erwischen ohne Betäubung im Almstall.
»Kannst du einen Druckverband machen?«, fragt Fiona. »Nur, bis es aufhört zu bluten.«
»Mullbinden da reinstopfen«, sage ich.
Wir müssen beide mal durchatmen. Dann systematisch Mullbinden in Alkohol tränken und den Horn- und Knochenmatsch damit ausstopfen. Klebeband drum herum, so fest es geht. »Halt das?«
»Derweil halt.«
Ich binde den Halfterstrick los. Stella wirft sofort den Kopf hoch und will sich rückwärts losreißen. Der dicke Balken ächzt, aber ausrichten kann so ein Koibal nichts gegen einenBaumstamm, der schon seit über 300 Jahren widerspenstige Kälber festhält.
Wir sehen aus wie Metzger. Fionas Arme sind blutverschmiert bis zu den Ellbogen. Mein weißes T-Shirt werd ich in den Ofen stopfen. Still stehen wir da und tätscheln Stellas Hinterteil. Am Bein hat sie auch Kratzer. Schnaps drauf. So.
»Ich schau dann mal nach den anderen«, sagt Fiona leise. Ich nicke. Es wird schon alles gut sein. Es wird schon alles passen.
»Vormittags waren sie hinten im Kessel, alle neun«, sagt Fiona, sie redet in sich selbst hinein.
»Ja«, sage ich. »Es werd scho alles passen.«
Der Schreck hat einen Krater hinterlassen in ihren Augen. Sie nickt, nimmt ihren Almstecken, der immer an der gleichen Stelle an der Wand lehnt, und geht. Ohne Jacke. »Ich schau einfach mal.«
Es riecht nach Kaffee. Hanas Kuchen thront süß und knusprig mitten auf dem Tisch. Die Mädel halten in ihren Bewegungen inne, als ich zur Tür reinkomme. Lias Hand lässt drei Tassen über dem Tisch schweben. Der Holzprügel, mit dem Lene gerade nachschüren wollte, plumpst zurück in den Holzkretz’n. Hana schaut mich an, die beige Thermoskanne aus den Siebzigern schräg vor sich haltend. »Wasch dich mal«, sagt sie.
Ich hoffe, die Mädel wollen noch Kuchen essen. Grad mal eine halbe Stunde auf der Alm, und schon passiert ein Gemetzel.
Aber ich habe Glück. Als ich aus der Dusche zurückkomme, hocken sie schon um den Kuchen rum und wollen die Geschichte hören. Was ist passiert?
Also erzähle ich.
»Und das ganze Blut nur von einem Horn?«
Ja. Nur von einem Horn. Ein fast fingerdickes Blutgefäß läuft durch das Horn eines Rindes. Ein Horn besteht aus einem Knochenzapfen, Nervengewebe und Blutgefäßen, umschlossen von einer verhornten Hülle. Es ist aufgebaut wie ein Stoffwechselorgan. Rinder entgiften über Hufe und Hörner. Hörner sind immer warm. Sie fühlen. Kühe können den Himmel fühlen mit ihren Hörnern.
Lene hält ihre Arme in die Höhe, gebogen wie Kuhhörner.
»Und wie fühlt sich der Himmel an?«
Keine Ahnung.
Wie Kirschkuchen.
Ich geh noch mal, meine Koima zählen. Ich kann diesem Tag irgendwie nicht trauen. Wir nehmen die Hunde mit. »Sei brav!«, ermahne ich meinen Billy und er mault »Ja, ja, ja.«
Eine halbe Stunde lang geht’s gut. Wir finden meine Viecher, immer noch auf ihrer Insel, ganz hinten am Zaun. Vollgefressen. Wiederkäuend. Als hätten sie alle eine Auszeit genommen. Urlaubstag für die komplette Belegschaft. Und Selma ist immer noch nicht zu bewegen. Nicht einen Schritt.
»Will die nicht?«, fragt Lene.
Nein.
»Okay, Selma«, sage ich, »komm, wann du magst. Ab fünf mach ich die Stalltür auf.«
»Phhhff«, schnauft Selma. Und wir gehen.
Was ist denn heute los? Der ganze Tag schon so … seltsam. Ich sollte meine Kälber suchen und heimholen. Denke ich.
Und pass nicht auf. Lia hat wohl auch nicht aufgepasst. Und zack, haben sich die Hunde in der Wolle. Mein samtfelliger Billy rammt mit gefletschten Zähnen die zarte Cansin. Cansin kläfft, kreischt und beißt wild nach Billys Maul. Er beißt zurück.
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