Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Keiner lässt los. Cansin kennt kein Halten mehr, hört nichts, sieht nichts, nur noch beißen. Ich hab keine Leine mehr in der Hand. Wie das gegangen ist, weiß ich nicht. Muss irgendwie meinen Hund am Geschirr erwischen. Irgendwann gibt’s einen winzigen stillen Moment. Ich greife zu, nur mit einer Hand, und ziehe das Geschirr zu mir. Dertobende Wolf, der das Geschirr trägt, reißt sein Maul herum und beißt in meinen Arm.
»Billy! Werd wieder normal, Herrschaftszeiten! Hund!« Er lässt mich los, stürzt aber sofort wieder nach vorne.
» ARRRRRARRRAARRRR .«
»Schluss!«
Ich erwische ein Ohr, packe ihn und zerre ihn weg vom Kampfplatz. Durchatmen. Das dauert ein paar Sekunden, dann schau ich mich nach Lia um.
Sie macht irgendwas am Maul ihres Hundes. Und der Hund jault dabei.
»Alles okay?«, frage ich.
»Ich glaub, der Zahn ist weg«, sagt Lia.
»Wie, der Zahn ist weg?«
Ich binde meinen Terroristen an einen Baum.
»Cansin, mach das Maul auf! Guter Hund.«
Tatsächlich ist der Reißzahn weg. Besser gesagt nicht zu sehen. Was nicht ganz das Gleiche ist. Der Zahn steckt in der Lefze. Oberlippe Innenseite. Wenn man da ganz reinfassen könnte, um den Zahn rum, dann könnte man die Lippe wieder aus dem Zahn rausziehen, oder den Zahn aus der Lippe. Man müsste auf jeden Fall an der Lippe ziehen. Ziemlich weit, denn die Dame hat lange, spitze Zähne.
»Beißt die mich, wenn ich das mache?«, fragt Lia.
»Ich würd beißen«, sage ich.
»Soll ich’s trotzdem versuchen?«
Ich zucke mit den Schultern. Lieber nicht, will ich gerade sagen, da hat Lia schon die Finger in Cansins Maul. Ein Rupf, der Hund quietscht, reißt sich los und läuft davon. Versteckt sich unter einem Baum und linst uns misstrauisch an. Warum tust du mir weh!?
»Sorry!«, sagt Lia.
Ein Versuch war’s wert. Und jetzt?
Jetzt zucken wir beide mit den Schultern.
Wir machen noch zwei Versuche, droben in der Hütte, mit Stirnlampe, Halsband und Hilfe von Hana. Hana trifft danndie Entscheidung: Das geht nicht. Gibt’s hier keinen Tierarzt?
Doch, gibt’s. Drunten im Tal. Sogar eine Tierklinik.
Also noch mal fahren.
Wir packen Cansin weich und sicher auf den Rücksitz.
Hoffentlich schaff ich das rechtzeitig zum Stall zurück, denke ich noch.
Und da stehen, durch eine wundersame Fügung, meine Kälber vor dem Zaun. Ah, Gott sei Dank. »Hallo meine zauberhaften Ginies!«
»Mmmöööööh!«, sagt ’s Wuzerl.
»So is brav, hopp, hopp!« Ich scheuche sie alle in den Stall, und jedes kriegt eine doppelte Portion Kraftfutter, so froh bin ich, die Bagage sicher unter Dach und Fach zu wissen. »So!«, verkünde ich, um einen ganzen Steinbruch erleichtert.
»Jetzt könn’ma fahren, jetzt kann nichts mehr passieren.«
Wie mit einer Ladung roher Eier rollt der Golf um den Buckel vor der Hütte. Fiona kommt gerade den Weg rauf.
»Hast du deine Viecher gefunden?«, schreie ich durchs Fenster. Ich seh’s ihr eh schon an, dass sie nicht da sind.
»Die sind schon irgendwo«, sage ich. »Wenn wir zurück sind, schau ma alle miteinander noch mal.«
Fiona nickt und schlurft weiter, zu ihrer Hütte. Sie sieht so müde aus. Man sieht ihr den Sommer an. Und es ist grad mal Halbzeit. Sie sollte sich einen Kaffee kochen und mal eine halbe Stunde auf der Eckbank sitzen bleiben. Mit den Füßen auf einem Stuhl vor’m Ofen. Sollten wir alle eigentlich. Später. Nach dem Tierarzt, nach dem Stall und nachdem wir die vermissten Viecher gefunden haben.
Es ist eine andere Welt im Tal. Leute sitzen mit ihren gekämmten Hunden im Wartezimmer des Tierarztes. Eine Frau mit einem Golden-Retriever-Welpen trägt ein luftigesKleid, fliederfarben, die Flip-Flops passend dazu. Sie hat perlmuttlackierte Fingernägel, Armbänder ums Handgelenk, Ohrringe. In einem Bambuskatzenkorb sitzt ein Luxustiger. Ein geliebtes Tier. Er kriegt Nahrungsergänzungsmittel und nur Biofutter, sagt sein Frauchen, und trotzdem hat er Durchfall. Daneben ein Bearded Collie, der friedlich auf seinem orthopädischen Kissen schläft. Liebevoll beobachtet vom Herrchen. Und wir. Dreckverschmiert, der Hund nass, wir nass, und in den Fasern meines Fleecepullis hängt unauslöschlich die ganze Alm. Ich riech’s immer erst im Tal. Weil hier alles frisch gewaschen ist. Im Tal sind Haare geföhnt. Schuhe geputzt. T-Shirts nur einmal getragen. Und schon packt es mich kalt am Genick. Das Tal. Ich bin schon auf dem Weg zur Tür raus, da flüstert der alte Indianerhäuptling in mir Du bleibst und
Weitere Kostenlose Bücher