Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
etwas ernst? Da hier ja sowieso Schulpflicht herrscht, muss man auch keine Angst davor haben, für immer von der Schule zu fliegen. Wenn man fliegt, dann kommt man eben auf eine andere. Man ist sich hier oft zu sicher und man darf die »dummen Kanaken« nicht unterschätzen. Die wissen ja auch, wie das Spiel funktioniert, und weil viele Leute wissen, dass keine schlimmen Konsequenzen drohen, passiert auch nichts. Warum soll ich mir denn was sagen lassen? Bei meinem Vater krieg ich auf die Fresse, also hör ich gezwungenermaßen zu, aber bei meinem Lehrer? Wer ist der denn? Der sagt mir irgendwas – na und?
Vielleicht fehlt den Menschen, die solche Probleme haben, einfach nur eine Perspektive, ein positives Lebensgefühl, das Gefühl, dass man gebraucht wird in dieser Gesellschaft, dass es wichtig ist, dass man dabei ist. Ich denke oft, dass sich diese Menschen so nutzlos vorkommen, weil ihnen nie jemand gesagt hat, wie wichtig jeder Einzelne ist und wie wichtig es ist, dass sie ihren Beitrag zu dieser Gesellschaft leisten. Viele von den Dingen, die in diesem Buch behandelt werden, spielen sich nämlich auf der Gefühlsebene ab, und wenn man eben das Gefühl hat, dass sich niemand für einen interessiert, wie soll man dann an sich selbst glauben? Ich habe das geschafft, weil ich eine Mutter hatte, die immer an mich geglaubt hat und mir die entsprechenden Werte vermitteln konnte, und vielleicht, weil ich das Glück hatte, einen eigenen Kopf zu haben. Doch so viel Glück hat eben nicht jeder.
Im Endeffekt ist aber auch das nur Theorie und die Menschen können sich nur selbst helfen. Es ist deine Entscheidung. Du musst die Entscheidung fällen, dich zu verändern und die Verhältnisse aufzubrechen. Dass das nicht einfach ist, zeigt das nächste Kapitel.
Aufstieg unerwünscht – die Deutschen und ihre Eliten
Mittlerweile scheint es sich ja herumgesprochen zu haben, dass es in Deutschland nicht allzu leicht ist, gesellschaftlich aufzusteigen. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass knapp achtzig Prozent der Studierenden aus Haushalten kommen, in denen schon die Eltern studiert haben, was bedeutet, dass auf den Unis und Hochschulen die Akademikerkinder nahezu unter sich sind. Zwar bemühen sich die Universitäten seit den 60er-Jahren, ihre Türen zu öffnen und die Kinder aus den sogenannten bildungsfernen Schichten aufzunehmen, doch letztlich bleibt das ganze Vorhaben auf halber Strecke stecken. Das liegt nicht unbedingt nur an den gesellschaftlichen Schranken und der Abwehrhaltung eines Bildungsbürgertums, das auch gerne mal unter sich bleibt. Das liegt auch nicht unbedingt am Standesdünkel der oberen Mittelschicht oder an den Akademikerkindern, die offen und nett sind, hilfsbereit und überhaupt nicht borniert, sondern fest davon überzeugt sind, dass es in diesem Land jeder schaffen kann, nein das liegt teilweise auch an den »Unterschichtsmenschen« selbst. In den letzten Jahren haben immer mehr Menschen aus bildungsschwachen Familien das Abitur geschafft, studieren aber trotzdem nicht. Fast die Hälfte von denen erlernt einen Beruf, weil sie sich gar nicht erst an die Uni trauen. »Die Angst vor dem Aufstieg« nennen Wissenschaftler dieses Phänomen. Ich weiß, wovon die Rede ist.
Als ich meine Ausbildung zum Maler und Lackierer gemacht habe, war ich so gut, dass ich auf eine andere Berufsschule gehen sollte. Eine Berufsschule mit speziellen Förderangeboten für die besonders Begabten unter uns, aber abgesehen davon, dass in meiner Klasse nur Nazis waren, hat es mir dort einfach nicht gefallen. Meine Kumpels waren nicht da, die Schule war in einem Stadtteil, in dem ich mich nicht auskannte, die Lehrer haben mir das Gefühl gegeben, nicht erwünscht zu sein, die Leute hatten eine andere Art zu sprechen und schlussendlich war ich auf dieser Schule dann so schlecht, dass ich wieder zurückversetzt wurde. Wie ein Frosch bin ich einen steilen, glitschigen Abhang nach oben geklettert, nur ein ganz kleines Stück, bis mich dann das Getto wieder nach unten gezogen hat. Dort kannte ich alles. Da waren meine Freunde. Die Leute verstanden mich und ich verstand die Leute. Auch wenn das Leben dort scheiße war, zumindest war es mir vertraut und ich war froh, endlich wieder dort zu sein.
»Dumm«, denken sich jetzt die Leute aus den gehobenen Gesellschaftsschichten, »Mann, sind die dumm da unten. Da bietet man ihnen die Chance und dann nutzen sie sie nicht. Solche Idioten.« Aber seien wir doch mal
Weitere Kostenlose Bücher