Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
Meinung, diese dafür konsequenter, und auf der anderen Seite mehr Flexibilität, wenn man jemandem einen Gefallen tun könnte. Ich bin selbst immer wieder überrascht, wenn ich auf irgendwelchen Ämtern Leute treffe, die es ein bisschen lockerer sehen, und da mal einer sagt: »Komm schnell rein. Was brauchst du? Okay, hier hast du’s. Tschüss.« Dabei will ich gar nicht, dass irgendjemand Geschenke verteilt, und es darf natürlich auch nicht zu Korruption und Bestechlichkeit führen. Sicher haben Regeln ihre Gründe und müssen eingehalten werden, aber man sollte doch immer noch den Menschen im Blickfeld haben. Immerhin sind die Regeln für die Menschen da und nicht der Mensch für die Regeln und man kann gewisse Dinge ja auch so oder so auslegen mit einem gewissen Spielraum.
Bei diesem Thema muss ich mir auch an die eigene Nase fassen, denn schließlich bin ich ein schrecklicher Korinthenkacker und Prinzipienreiter und mein Verhalten ist auch nur aus dem zusammengesetzt, was ich gerade als richtig und wichtig empfinde. Das eigene Verhalten hängt ja stark davon ab, wie man sich gerade fühlt. Manchmal lässt man jemandem etwas durchgehen, weil man ihn sympathisch findet, manchmal reitet man auf einer Sache ewig herum, weil man den anderen nicht leiden kann. Solange die Situation aber niemanden verletzt oder benachteiligt, wäre es doch generell okay, wenn man alle fünfe gerade sein ließe. Schließlich würde ein solches Verhalten auch die Souveränität der jeweiligen Autoritätsperson unterstreichen, weil man erkennen würde, dass da ein freier und selbstständiger Mensch steht, der fähig ist, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, und auch bereit ist, die Konsequenzen dafür zu tragen.
Diese Bereitschaft trifft man jedoch selten an in Deutschland, wobei ihr Fehlen eines der Hauptprobleme im Verhältnis zwischen deutschen Autoritäten, seien es jetzt Lehrer, Polizisten oder Finanzbeamte, und Ausländern darstellt. Da wird oft an vollkommen unnötigen Stellen Härte gezeigt, aber am Ende mangelt es am Willen, diese Härte auch in aller Konsequenz durchzuziehen. Die fehlende Bereitschaft, selbstständig zu denken und Kante zu zeigen, wirkt verwirrend auf Menschen mit Migrationshintergrund und besonders die Jugendlichen haben in dieser Beziehung sehr feine Antennen für widersprüchliches Verhalten. Das größte Problem, das ich auch selbst mit der deutschen Prinzipienreiterei habe, ist aber, dass sie oft an der falschen Stelle ansetzt. Dabei muss ich an eine Geschichte denken, die wir erst kürzlich im Gefängnis erlebt haben.
Fikret und Youssef, die beiden Brüder von Hassan, sind zurzeit im Knast und das mit den Besuchszeiten ist immer schwierig. Also haben wir uns verabredet, die beiden Häftlinge zusammen mit Hassans Mutter und den restlichen Brüdern zu besuchen. Hassan, Jay Jay und ich besuchen Fikret. Ringo, Umut und die Mama sind bei Youssef. Wir gehen also hin, werden hier kontrolliert, werden da kontrolliert, wir werden überprüft und noch mal überprüft und schließlich dürfen wir dann eine Nummer ziehen, bevor wir endlich in den Besuchsraum geführt werden. Das ist ein bisschen wie beim Arbeitsamt. Im Besuchsraum setzen wir uns an einen Tisch, in dessen Mitte eine ungefähr dreißig Zentimeter hohe Plexiglasscheibe steht, damit man sich nichts über den Tisch zuschieben kann. Fikret sitzt auf der einen Seite, Hassan, Jay Jay und ich auf der anderen Seite. Die ganze Zeit ist ein Vollzugsbeamter neben uns und kontrolliert, dass alles mit rechten Dingen zugeht, und vor allem, dass wir Deutsch sprechen, denn es ist verboten, sich in einer anderen Sprache zu unterhalten. Der Beamte muss darauf bestehen, dass Deutsch gesprochen wird. Sagen wir es so, er müsste! Ab und zu verfallen Fikret und seine Brüder nämlich ins Arabische, und weil der Wärter offenbar keine Lust auf Stress hat, lässt er die Jungs halt machen.
Fünf Minuten vor Ende der Besuchszeit wird dann plötzlich die Tür aufgerissen und Ringo erklärt, dass der andere Besuch vorzeitig abgebrochen wurde. Warum? Weil die Mutter mit ihrem Sohn Arabisch gesprochen hat. Die Mutter, eine alte Frau, die nicht so gut Deutsch und einfach besser Arabisch kann, wurde also gezwungen, sich auf Deutsch zu unterhalten, und als sie das nicht fertiggebracht hat, wurde der Besuch abgebrochen. Aha! Anscheinend hatte die Beamtin in der Nachbarzelle Lust auf Stress – mit der Mutter.
Warum erlaubt der eine Wärter Fikret und seinen Brüdern,
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