Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
Arabisch zu sprechen, während die andere Wärterin bei seiner Mutter die harte Prinzipienreiterin spielt und dieser das Arabische verbietet? Warum macht man sich da nicht ein bisschen lockerer und entspannt sich? Ein verständnisvolles, auf den Menschen ausgerichtetes Verhalten würde in solchen Fällen sicher eher dazu führen, dass Autoritäten Respekt entgegengebracht wird. Respekt davor, dass sie eine eigene Entscheidung treffen und dazu stehen. Dass sie Rückgrat zeigen, nicht aufgrund irgendeiner Position, nicht aufgrund eines Amtes, sondern weil sie zu ihrer eigenen Meinung stehen. Und genau das würde ich mir wünschen für Deutschland, das fehlt mir in Deutschland, das fehlt Deutschland.
Das Beste aus beiden Welten
Wenn ich über die neuen Deutschen spreche, dann spreche ich natürlich auch über mich und wie sich in mir die deutschen und arabischen Einflüsse mischen. An meiner deutschen Seite mag ich, dass sie mein aufbrausendes und vielleicht sehr arabisches Temperament zügelt – zumindest bilde ich mir das ein. Ich glaube, ich hätte viel mehr Ärger gehabt, Scheiße gebaut und Ärger gemacht, wenn ich wirklich alles so getan hätte, wie es im ersten Moment in mir hochgekommen ist. Dieser erste Impuls, den anderen sofort als Hurensohn zu beschimpfen oder jemanden zu schlagen, der dich angehupt hat, dieses totale Überreagieren, dieses Hitzige, das Aufbrausende wird doch immer wieder von meinem kühleren, analytischeren Denken in Zaum gehalten. Das hat sich in meinem Verhalten schon oft genug bewährt. Auch wenn ich die eine oder andere Anzeige und Geldstrafe bekommen habe, bin ich dankbar dafür, dass meine deutsche Seite das einigermaßen im Griff hat.
Zum anderen hilft mir meine deutsche Seite auch, mich hier in Deutschland mit den Deutschen zu verstehen. Zum Beispiel weiß ich, wie man auf dem Bau redet oder wie man mit einem Handwerker reden muss, damit er schnell kommt, um einen Wasserschaden zu reparieren: »Weeste, vastehste. Kannste mal kieken kommen?«
Dann schaut mich meine Frau immer an und fragt mich ganz entgeistert: »Sag mal, wie redest du denn?« – »Ey, ich rede gerade mit ’nem dicken Handwerker, da muss man so reden.«
Diesen Spagat erleichtert mir meine deutsche Seite ungemein und nicht nur dieses Ausländersein und das Bushidosein werden dadurch extrem gefiltert. In vielen Bereichen denke ich deutsch und kann auch deutsch sein, wenn ich das möchte. Das heißt höflich, korrekt und eloquent. Wenn ich zum Beispiel bei Johannes B. Kerner bin oder in meinen Interviews, da hatte ich mit dieser verbindlichen »deutschen« Art immer mehr Vorteile als Nachteile. Aus diesem Grund habe ich auch nie damit hinterm Berg gehalten, dass ich Deutscher bin, und bin immer sehr offensiv damit umgegangen.
Auf der anderen Seite mag ich auch meine arabischen Charakterzüge oder das, was ich dafür halte. Ich mag diese Gastfreundlichkeit, dass wir gesellig sind und dass wir sehr gerne geben.
Wenn wir Fußball gucken, dann haben wir hier durchschnittlich dreißig Leute zu Gast. Meine Mutter kocht für alle, und wenn sich Ahmet, der Cousin von Hassan, Gulasch wünscht, dann macht meine Mutter aus vier Kilo Rinderbraten, vier Kilo Zwiebeln und vier Litern Wasser eben Gulasch für 25 Leute und sieben Kinder. Und dann sitzen wir alle hier, essen und trinken und ich guck gar nicht so viel Fußball, weil ich jedem einen Espresso mache und die Getränke hole und die Wassermelone aufschneide und immer schaue, ob noch irgendjemand irgendwas braucht. Das gefällt mir. Ich mag das, meine Leute um mich zu haben und diese Gemeinschaft zu leben.
Ich mag diese gewisse Lässigkeit, diese Lockerheit und Nachsichtigkeit, die ich mit einer arabischen Lebenseinstellung verbinde, zum Beispiel wenn einer meiner besten Freunde mir Geld schuldet. Dass ich dann sagen kann: »Hey, scheiß drauf.«
Ich glaube, das ist eher ein Ausländerding, aber vielleicht hat das auch nur etwas mit meinem Charakter und meiner Erziehung zu tun. Meiner deutschen Erziehung durch meine deutsche Mutter, was natürlich allem widerspricht, was ich eben behauptet habe, denn meine deutsche Mutter ist genauso drauf.
Was ich allerdings wirklich beobachtet habe und was auch meine Frau bestätigt hat, ist, dass ich im Gegensatz zu den meisten deutschen Männern eine gewisse Konsequenz an den Tag lege. Das gefällt meiner Frau sehr gut und mir gefällt, dass es ihr gefällt. Deshalb möchte ich auch, dass es so bleibt. Dass ich mich in vielen
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