Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
unterschiedlichen Kulturen lernen können. Ich glaube aber auch, dass wir, die wir in dieser Zeit zwischen den verschiedenen Kulturen aufwachsen, die Chance haben, einen gesunden Mittelweg zu finden. Auf der einen Seite etwas Deutsches annehmen, auf der anderen Seite etwas Arabisches, Türkisches, Serbisches und so weiter ablegen und umgekehrt. Wenn wir das auf die Reihe bekommen, dann wäre es perfekt.
Wenn ich so über die verschiedenen Charaktereigenschaften der unterschiedlichen Kulturen nachdenke, dann wirkt es immer so, als wäre das deutsche Leben sehr technisch und praktisch, während das arabische Leben voller Gefühle zu sein scheint und verantwortlich für die Coolness in mir. Ich merke, wie ich dabei den verschiedenen Klischees aufsitze, wie sehr sich die jeweiligen Vorurteile schon in mich hineingefressen haben und wie falsch ich damit auch liege. Wenn ich mir zum Beispiel meine Mutter anschaue, dann stellt sie genau das auf den Kopf, was ich teilweise behauptet habe. Meine Mutter ist voll deutsch. Sie wurde in den 50er-Jahren in der fränkischen Provinz geboren und ist trotzdem absolut cool. Sie ist in einer Zeit aufgewachsen, die noch ganz anders war als die heutige, mit sehr strengen moralischen Vorstellungen, mit sehr starren gesellschaftlichen Regeln und trotzdem haben alle meine Freunde, egal, in welchem Alter, ob das jetzt zu Grundschulzeiten oder in der Oberschule war, meine Rap-Freunde wie Frauenarzt und Orgi oder auch meine Freunde heute, alle Menschen, die meine Mutter kennengelernt haben, haben gesagt, wie wenig deutsch meine Mutter sei. Vielleicht liegt es daran, dass sie aus einer Zeit kommt, in der Deutschsein noch etwas anderes bedeutet hat, vielleicht hat sie diese Gastlichkeit einfach vermisst und deshalb ist sie so, auch wenn andere Leute aus ihrem Jahrgang nie im Leben dreißig »Kanaken« zum Grillen einladen würden. Auch hier kommt es wie immer auf den Einzelnen an und natürlich lerne ich Tag für Tag coole Deutsche kennen, sogar mehr, als ich Idioten kennenlerne. Man muss seinem Gegenüber aber auch die Möglichkeit geben, sich überhaupt cool zu verhalten. Mit dem Bauarbeiter von gegenüber komme ich perfekt zurecht, mit dem Handwerker, der meinen Wasserschaden repariert, ebenfalls, weil ich seine Sprache spreche und wir uns verständigen können. Mit meiner neunzigjährigen Nachbarin Johanna komme ich super klar, und wenn ich will, kann ich auf ziemlich viele Leute so reagieren, wie es nötig ist, damit sie positiv auf mich reagieren. Man muss den Leuten die Möglichkeit geben, dass sie cool zu einem sein können, und da hapert es manchmal bei meinen ausländischen Mitbürgern. Wir müssen auch selbst die Initiative ergreifen, und anstatt immer nur zu fordern und etwas zu erwarten, müssen auch wir offen auf die Menschen zugehen. Ich kann nicht komplett darauf vertrauen, dass die Deutschen von allein zu mir kommen und mir sagen, was für ein cooler Typ ich bin. Ich weiß, dass ich das nicht erwarten kann, und wenn ich möchte, dass wir gut miteinander auskommen, dann weiß ich, dass ich zwei, drei Dinge mehr machen muss, um dem anderen das Signal zu geben, dass ich Bock darauf habe, mit ihm klarzukommen. Danach liegt es wiederum an dem anderen, und wenn der wirklich cool ist, dann nimmt er mein Angebot an. Wenn er ein Vollidiot ist, dann bleibt es halt bei einem Verhältnis, das gar kein Verhältnis ist, und wir kommen eben nicht miteinander klar. Da muss Bereitschaft von beiden Seiten da sein. Bereitschaft, Offenheit und Ehrlichkeit.
Familienbande, Cafés und die Einsamkeit der Deutschen
Wenn ich mir die deutsche Gesellschaft und die Deutschen mit Migrationshintergrund, die sogenannten Ausländer, anschaue, so stelle ich fest, dass der größte Unterschied wohl in der Familienstruktur und Familienkultur liegt. Der Stellenwert der Familie, die Bedeutung der Familie wird vollkommen unterschiedlich eingeschätzt, weswegen auf beiden Seiten eine Menge Irritation herrscht.
Obwohl ich ein großer Fan der Großfamilie bin, sehe ich sie auch mit gemischten Gefühlen. Vor allem die strenge Hierarchie muss man kritisch betrachten, wenn daraus negative Folgen für den Einzelnen oder die Gesellschaft abzuleiten sind. Wenn durch diese starre Struktur die Entwicklung der einzelnen Familienmitglieder leidet, egal, in welcher Richtung, sei es jetzt Bildung, Sozialverhalten oder Geschlechterrollen, dann muss man das auch kritisieren. Ich sehe jede Menge Kinder und Jugendliche, die zwar in
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