Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
sind oft gefangen in ihrem Leben und in ihrem Alltag. Es ist selbstverständlich, dass man morgens aufsteht, zur Arbeit geht, ackert, abends nach Hause kommt, bisschen was isst, dann zwei Stunden Trash-Fernsehen, dann ins Bett fällt, denn am nächsten Tag geht es ja schon wieder weiter mit diesem schrecklichen Alltag. Natürlich kann nicht jeder so einen Tagesablauf haben wie ich. Ich kann aufstehen, wann ich will, und ich kann machen, was ich will. Es ist ja auch klar, dass gewisse Strukturen notwendig sind und dass man arbeiten gehen muss, aber ich finde eben, dass in diesem Prozess die Möglichkeit auszubrechen, und wenn das nur die Unterhaltung mit anderen Menschen ist, dass diese Möglichkeiten in der deutschen Gesellschaft zu kurz kommen. Das macht einsam. Das macht depressiv. Das macht unzufrieden.
Ich habe hier einen Nachbarn, bei dem läuft abends, wenn ich so rübergucke, der Fernseher und er schaut Golf. Jeden Abend sitzt der in seinem dunklen Wohnzimmer und schaut sich Golf im Fernsehen an. Ich bilde mir natürlich ein, dass der Typ megaeinsam ist. Er hat eine schöne Eigentumswohnung hier und wenn ich an den Quadratmeterpreis denke, dann dürfte er auch einigermaßen vermögend sein. Aber niemals sehe ich irgendwelche Leute auf der Terrasse sitzen, lachen, mal ein Glas umwerfen, sich streiten, Kinder durch die Wohnung rennen oder höre eine Frau schreien, dass das Essen fertig ist. Abends sitzt man nach solchen Tagen da und ist voll kaputt, aber zufrieden. Niemals sehe ich das bei ihm. Wenn wir hier bei mir zu Hause viele Gäste haben, dann bin ich teilweise richtig am Arsch, weil ich dreißig Espressos gemacht und fünf Kilo Wassermelone aufgeschnitten habe. Meine Mutter sitzt da und ist total geschafft, weil sie den ganzen Tag gekocht hat, aber wir sind glücklich. Ich glaube, da entstehen ganz eigene Glückshormone, wenn man diese Gemeinschaft erlebt, und es finden spezielle chemische Reaktionen im Körper statt. Ich glaube, das fehlt meinem Nachbarn da drüben einfach. Geld macht nicht glücklich, das habe ich am eigenen Leib erfahren, aber man kann wenigstens noch seinen Spaß damit haben. Doch der da drüben sitzt einfach nur da und guckt Golf. Die langweiligste Sportart der Welt. Das ist traurig.
Diese Geselligkeit, dieser Austausch, diese Gemeinschaft, das ist in der deutschen Kultur ein wenig verloren gegangen. Der einzige Anlass, zu dem sich die Leute heute noch treffen, ist das Biersaufen, ob es jetzt auf dem Oktoberfest ist, auf der Kirmes oder in der Kneipe. Selbst in den Clubs und Discotheken steht der Vollrausch an erster Stelle. Vielleicht ist das jetzt alles sehr schwarz-weiß und überspitzt formuliert, aber wo haben die Deutschen denn wirklich Orte des Müßiggangs, der Unproduktivität und des zwanglosen Beisammenseins? Orte, an denen es tatsächlich nur darum geht, zusammen rumzuhängen. Das gibt es so gut wie gar nicht und das fehlt. Das macht die Menschen einsam, unglücklich und letztlich auch krank. Da fehlt dann einfach ein Stück Lebensqualität.
Teil 4
Parallelwelten
Das arabische Café als mythischer Ort – Selbstjustiz und Parallelgesellschaften?
Ähnlich wie das Wort »Großfamilie«, das als Synonym für mafiöse Strukturen gebraucht wird, hat das arabische Café als zentraler Ort für dubiose Geschäfte in der Öffentlichkeit einen gewissen Beigeschmack bekommen. Das mag seine Berechtigung haben, doch zunächst einmal passiert in einem solchen Café nicht viel mehr, als dass Leute, die nichts zu tun haben, bei Neonlicht gemeinsam vor dem Fernseher sitzen und viel zu laut arabische Sender mit viel zu grellen Farben gucken. Woher diese Vorliebe für übersteuerte Farben und Lautstärke kommt, kann ich beim besten Willen nicht sagen, ich kann nur sagen, dass es wirklich überall so ist. Dort trifft man sich also, sitzt rum und spielt Karten. Ein Jugendclub für Erwachsene, und wenn man eine Webcam installieren würde, würde das Big Brother den Rang ablaufen, denn obwohl immer wieder das Gleiche passiert, geschehen auch wahnsinnig komische Sachen, bei denen man sich ungläubig an den Kopf fassen möchte. Der Grund dafür ist der, dass sich an solchen Orten sehr viele Menschen treffen, in deren Leben sich viel ereignet. Man könnte auch sagen, dass die vielen Menschen verschiedene Sachen am Laufen haben, aber das klingt schon wieder so negativ nach illegalen Aktivitäten oder Drogengeschäften. Fakt ist aber, dass jeder dort in seinem Leben irgendwas am Laufen hat
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