Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
36er oder die Black Panthers was zu sagen hatten, kam der Trotz ins Spiel und die Spinne ist dort eingelaufen. Dass aus diesen Jugendgangs teilweise hochkriminelle Strukturen entstanden sind, ist vielleicht nachvollziehbar. Dass daraus aber auch alte Beziehungen und Bekanntschaften entstanden sind, die heute noch immer Bestand haben, dürfte ebenfalls verständlich sein.
Dass es sich dabei um so etwas wie eine Parallelwelt handelt, eine Welt, von der die meisten Bürger dieses Landes nichts wissen, ist mir klar, aber es ist eben auch eine Welt, die aus einzelnen Menschen besteht. Menschen mit ihren ganz eigenen Geschichten, Beziehungen und Biografien, und nur weil wir an manchen Stellen unseres eigenen Lebensweges Kontakt zu dieser Welt haben oder hatten, macht uns das noch nicht zu Verbrechern. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass wir als Familie zusammenhalten.
Auf die Deutschen wirkt diese Art der familiären Solidarität eher befremdlich und auch mir kommt das manchmal seltsam vor. Als Deutscher würde man wahrscheinlich eher sagen, dass es einem egal ist, was der eigene Cousin macht. »Nee, Mama, der Thomas ist zwar mein Cousin, aber der hat Scheiße gebaut und das finde ich nicht gut. Auch wenn du mit seiner Mutter verschwistert bist, ist das trotzdem sein Problem.« Dieses »weil ich mit dir verwandt bin« bedeutet bei den Deutschen eben nicht, dass man sich nahezu bedingungslos unterstützt, so etwas gibt es unter Deutschen nicht oder nicht mehr.
Auf der anderen Seite ist dieser Familienzusammenhalt auch sehr praktisch und verleiht ein unglaubliches Gefühl von Geborgenheit. Wenn meine Familie im Fall der Fälle für mich einsteht, dann kann ich nicht verloren gehen, und das ist ja fast wie eine Versicherung. Eine Versicherung, die natürlich nur so lange funktioniert, wie ich die Hierarchien und Spielregeln akzeptiere.
Für Individualität, ja selbst für einfache Ruhe ist da manchmal kein Platz, was für Deutsche, die sehr auf ihre Ruhe bedacht sind, wahrscheinlich besonders seltsam wirkt. Vor nicht allzu langer Zeit wollte ich Hassan abholen und habe bei ihm geklingelt, da waren dann sieben Kinder vor Ort. Die Kinder von seinem Bruder, von seiner Schwester, von seinem anderen Bruder. Er war zu Hause, hatte Zeit und die anderen wollten was erledigen, also hatten sie bei ihm angerufen und ihn gefragt, ob er die Kinder nehmen könne. Selbstverständlich geht das klar, schließlich ist man auch dazu verpflichtet und dann sind eben sieben, acht, neun oder zehn Kinder bei einem zu Hause und brüllen rum. Ein unfassbarer Lärm, und das ist für viele Deutsche, die höchstens zwei oder drei Kinder bei sich zu Hause haben, sehr verschreckend. Diesen Lärm, dieses Durcheinander, das kriegen natürlich auch die Nachbarn mit und schon heißt es wieder: »Na ja, typisch Kanaken. Immer laut.« Ich persönlich kann das schon verstehen. Da besteht tatsächlich ein kultureller Unterschied und da sind wir extrem verschieden, obwohl das bei mir zu Hause, bei meiner Mutter, immer genauso war. Meine Mutter hat immer »full house« gehabt, es waren immer Leute da, sie hat nie jemanden fortgeschickt und jeder hat zu essen bekommen. Ich kannte das aber auch anders, aus der Grundschule, wenn man da bei einem deutschen Kumpel war. Ich hatte zum Beispiel einen Freund namens Ulf, dessen Eltern ein bisschen wohlhabender waren, die in einer Einfamilienhaushälfte gelebt haben. Zu dem bin ich immer zum Nintendo-Spielen gegangen und da musste man heimgehen, wenn das Essen fertig war. Ich habe das zwar akzeptiert, fand es aber immer scheiße. Das war für mich typisch deutsch. Bei uns gab es das nie, und das gibt es auch in den Großfamilien nicht. Bei uns läuft man manchmal durch die Wohnung und dann sind da zwanzig Leute. Einfach so. Keine Party. Nur Familie. Hervorragend!
Bedingungslos – Familienfehden, Blutrache und Solidarität
So bedingungslos die Liebe innerhalb einer Familie ist, so stark der Zusammenhalt und so allumfassend die Unterstützung, so bedingungslos und total sind zuweilen auch der Hass und die Gewalt gegenüber anderen Gruppierungen. Dies ist eine Tatsache, mit der die deutsche Bevölkerung noch weniger zurechtkommt als mit dem Umstand, dass es unter Arabern normal zu sein scheint, fünf bis zehn Kinder zu haben. Diese Feindseligkeiten zwischen den unterschiedlichen Großfamilien, die wie kriegerische Auseinandersetzungen wirken, bis hin zu Schießereien auf offener Straße, tauchen immer wieder in den Medien
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