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Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Titel: Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anis Mohamed Youssef Ferchichi , Marcus Staiger
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Gemüsehändler, Dönerverkäufer oder Hartz-IV-Bezieher zu werden, sondern durchaus von seiner Familie Unterstützung bekommt, wenn er für sich entdeckt, dass er lesen und sich bilden möchte. Da kommt keiner und sagt: »Nee, mach das nicht.« Ich glaube, dass viele Eltern, die schon lange in Deutschland wohnen und die vielleicht selbst nicht gut Deutsch können, sich wünschen, dass ihre Kinder den sozialen Aufstieg schaffen. Mein Stiefvater, der Türke ist, wollte immer, dass wir studieren, schon als wir kleine Kinder waren. Als ich neun Jahre alt war und mein Halbbruder geboren wurde, sagte er mir, dass ich die Schule fertig machen solle, und als ich dann älter wurde, ging er davon aus, dass ich Abitur mache und studieren würde. Das ist bei mir ja dann etwas chaotisch verlaufen und er konnte auch nur wenig Einfluss auf mich nehmen. Er meinte, dass er zwar mein Freund sei, aber wenn ich nicht auf ihn hören wolle, könne er auch nichts machen, schließlich sei er ja nicht mein richtiger Vater. Bei meinem Bruder war das natürlich anders. Da hat er schon immer darauf geachtet, dass der gut in der Schule war und das auch ernst genommen hat. Schon wenn er meinen kleinen Bruder auf dem Schoß hatte, hat er ihm erzählt, dass er später einmal studieren werde. Er wollte sehr gerne, dass mein Bruder Mediziner wird. Nun ist mein Bruder allerdings »nur« Wirtschaftswissenschaftler geworden, aber zumindest arbeitet er gerade an seiner Doktorarbeit. Doktor klingt ja auch medizinisch und insofern passt das.
    Was ich damit sagen will: Mein Stiefvater und auch mein Vater, den ich mittlerweile kennengelernt habe, hätten uns nie von Bildung und vom sozialen Aufstieg ferngehalten, und das sollten Eltern auch nicht tun. Ich weiß natürlich, dass es das leider durchaus gibt, besonders bei Mädchen. Das ist vollkommen absurd. Aber viele dieser Menschen wissen, dass man mit Abitur, mit einem Studium etwas gilt in diesem Land. Gerade auch in diesen Arbeiterfamilien, in denen ganze Generationen am Fließband aufgewachsen sind, in diesen Familien der viel beschworenen Gemüsehändler und Dönerverkäufer, wenn du da der Erste mit Abitur bist oder der etwas macht, was nichts mit Fabrik, Obst und Gemüse oder Fleischspieß zu tun hat, dann ist das für die gesamte Familie meist schon etwas Besonderes und alle sind stolz auf dich.
    Wie bereits gesagt, ist es da viel problematischer, seinen Freundeskreis hinter sich zu lassen oder im Freundeskreis Unterstützung zu finden, wenn man sagen muss, dass man jetzt nicht mitkommen kann, um jemanden zusammenzuschlagen oder bis fünf Uhr morgens im Café Karten zu spielen, weil man am nächsten Tag in die Uni muss. Im Freundeskreis ist so eine Haltung eher verpönt und auch ich hätte früher darüber gelacht – allerdings nicht, weil das nicht gut für denjenigen ist, der da studieren geht, sondern eher aus Neid. Wenn du in einer Gruppe von zwanzig Versagern steckst und da plötzlich jemand ist, der was ändern will und tatsächlich so viel Ehrgeiz hat, das auch umzusetzen, dann wird derjenige im ersten Moment jede Menge Neid und Missgunst ernten. Er wird als Verräter dargestellt, als derjenige, der seine alten Kumpels im Stich lässt. Das Getto zieht einen zurück und dabei haben die Leute vielleicht einfach nur Angst. Aber keiner geht dann her, nimmt seinen Mut zusammen und spricht die Wahrheit aus, indem er sagt, dass er Angst hat, dass die Freundschaft kaputtgehen könnte, dass man sich nicht mehr so oft sehen könnte aufgrund der unterschiedlichen Entwicklung und Lebensplanung. Wenn der eine um sieben Uhr morgens schlafen geht und erst wieder um 18 Uhr aufsteht und der andere um neun in der Uni sein muss und um 21 Uhr ins Bett geht, dann sieht man sich einfach nicht mehr. Aber da sagt keiner: »Hey, ich würde dich gerne öfter sehen, und es ist echt schade, dass wir langsam den Kontakt verlieren.« In dieser ewigen Machowelt heißt es dann einfach: »Du bist doch voll Opfer, du Streber. Mach doch nicht so. Ich ficke dein Studium«, weil man einfach nicht ehrlich sein kann. Das hat viel mit Gruppenzwang zu tun und mit dem Unvermögen, Gefühle zu artikulieren. Den meisten ist wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass sie das aus einer Form von Traurigkeit oder Enttäuschung heraus machen, die fühlen nur, dass da irgendwas nicht stimmt, und ballern drauflos. Echte Gefühle zuzugeben wird immer als eine Form von Schwäche angesehen und deswegen ist es viel schwieriger, für so eine

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