Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
aber noch in den 1980er-Jahren haben Homosexuelle große Probleme gehabt, wenn sie sich geoutet haben.
Das hat sich in den letzten zwanzig Jahren stark verändert und die deutsche Gesellschaft ist in dieser Frage sehr viel toleranter geworden. Auch ich bin in dieser Frage wahrscheinlich zu tolerant, um ein richtiger Moslem zu sein, aber der Einzige, der darüber zu urteilen hat, ist sowieso Gott allein.
Egal, wie ich das jetzt sage, ich werde von der einen oder von den anderen Seite Ärger dafür bekommen, aber manchmal versuche ich mir das vorzustellen, wie das ist, wenn man selbst merkt, dass man homosexuell ist. Man wächst heran und irgendwann stellt man fest, dass man sich zu Männern hingezogen fühlt. Dann ist das erst mal scheiße für mich persönlich, aber auch für die anderen in meiner Familie, weil ich ja Schande über die Familie bringen könnte. Dann hat man ein großes Problem, aber man hat sich ja nicht bewusst oder mit Absicht dafür entschieden, anders zu sein. Wie gesagt, wir wissen nicht, warum Menschen schwul werden, aber gehen wir mal davon aus, dass die sexuelle Orientierung im Alter von zwölf, 13 oder 14 Jahren erfolgt, also in einem Alter, in dem man sich noch nicht vollkommen bewusst entscheidet. Man stellt also eines schönen Tages fest, dass man den Typen gegenüber irgendwie attraktiv findet und man sich zu ihm hingezogen fühlt. Man merkt, dass man Gefühle für diesen Menschen hat, und zwar nicht nur sexuelle, nein liebevolle Gefühle – das ist doch in erster Linie erst mal etwas Schönes. Und vor allem es passiert einfach. Man geht ja nicht einfach so hin und entscheidet sich dafür. Das kommt über einen, vollkommen unbewusst, da finde ich persönlich die Menschen, die bewusst sündigen, eigentlich schlimmer. Denn wenn man rumhurt oder sich besäuft, ist das dein freier Wille und auch für eine Tätowierung muss man sich aktiv und bewusst entscheiden. Ob man sich aber verliebt und in wen, darüber hat man doch in der Regel keine Macht.
In diesem Zusammenhang finde ich es auch paradox, dass ich als Schwulenhasser abgestempelt wurde, denn ich kann mit reinem Gewissen sagen, dass ich all die Worte wie »schwul«, »schwuchtelig« oder »tuntig«, die in meinen Texten benutzt wurden, niemals gezielt gegen Schwule gerichtet habe. Ich verurteile ja vieles, bin selbst ein großer Richter und der »Hurensohn« liegt mir schnell und locker auf der Zunge, aber ich muss sagen: Ich will das auch tolerieren. Ich kann ganz schnell für mich ausmachen, ob ich etwas gut finde oder nicht. Ich wusste einfach, Männerliebe, das ist nichts für mich, aber ich habe nie meine Zeit damit verschwendet, darüber nachzudenken, ob das eklig ist oder nicht, und mich darüber aufzuregen. Für mich ist das einfach nichts, und wenn nur noch Männer mit Männern bumsen würden, dann würden wir irgendwann mal aussterben, aber da wahrscheinlich nur zehn Prozent aller Lebewesen homosexuell sind, wird das nicht passieren, und mit den zehn Prozent können wir ganz gut leben.
Diesen Prozentsatz an Homosexuellen wird es wahrscheinlich auch in der türkisch-arabischen Welt geben. Ich weiß auch von einigen schwulen Ausländern, aber da kenne ich die familiären Hintergründe nicht und kann nicht sagen, wie sie die Konflikte innerhalb ihrer Familie durchgestanden haben. Ich kenne keinen Fall, in dem sich ein Sohn mit Migrationshintergrund vor seine Eltern hingestellt und gesagt hat: »Du bist mein Vater, du bist meine Mutter, ich bin euer Sohn und ich wollte euch sagen, dass ich schwul bin. Und jetzt gehe ich zu meinen ganzen Geschwistern und erzähle es denen ebenfalls.« Einen solchen Fall kenne ich nicht, und das ist, ehrlich gesagt, auch schwer vorstellbar. Dieses offizielle Outing gibt es nicht, das läuft eher heimlich und versteckt ab. Man hört Geschichten über Typen, die anscheinend auch mal einen Typen weggeknallt haben, und die erzählt man sich hinter vorgehaltener Hand. Da sind Typen dabei, die man kennt, bekannte Persönlichkeiten, aber darüber spricht man nicht, lediglich in Andeutungen und Blicken. Das wird totgeschwiegen.
Es gibt da zum Beispiel einen schwulen Friseur aus Köln, den man kennt, weil der immer geile Bräute im Schlepptau hat, und der hat irgendwann mal durchblicken lassen, dass er namhafte Araber und namhafte Türken nennen könnte, die schon mal was mit einem Mann hatten. Wenn das rauskommen würde, dann gäbe es richtig Blut, und irgendwann mal ist ihm auch ein Name
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