Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
eigenen Farben, die sie im Augen–Make-up noch unterstrich. Dazu die – wie sie inzwischen akzeptiert hatte – in Amerika unerlässlichen Jeans und noch einmal ihre blaue Jacke, obwohl sie die wohl kaum brauchte. Die Sonne schien von einem so leuchtenden, klaren Himmel, die Luft war schon jetzt angereichert mit Wärme. Es würde ein Sommertag.
» Gerade jetzt, wo es richtiges Kalifornienwetter gibt, muss ich nach Haus«, stöhnte Sophie. Und mit einem Blick auf ihre Mutter: »Du siehst ja toll aus. Hast du heute noch etwas vor, außer Mörderinnen zu überführen?«
Aber so richtig war ihnen bei den noch nicht zum Scherzen zumute, nicht einmal zu makabren wie diesem. Sie ließen ihr Gepäck noch im Hotel untergestellt. Als Lene die Zimmerrechnung bezahlen wollte, erwartete sie eine Überraschung. Will hatte bereits die gesamte Rechnung bezahlt. Auch ihre erste Zahlung war auf Lenes Kreditkarte zurückgebucht worden.
» Wie lieb von ihm! Ohne ein Wort zu sagen! Wie gestern, als er versucht hat für uns zu tanken. War das wirklich erst gestern?«
» Mir kommt es auch viel länger vor. War das ein Tag! Ich rufe Will und Sam an, aber erst nach dem Verhör von Iris.«
Sophie hatte ihr Haar heute wieder lang ü ber die Schulter fallen lassen und ihr ›Reiseensemble‹ angezogen, das ihr so gut stand. Nach einem stolzen Blick auf sie, hakte Lene ihre Tochter unter.
» Auch wenn es nicht so lang war, wie wir es uns wünschen würden, und du weißt, die Wüste fehlt, bin ich froh über diese Reise, ich meine das, was wir neu kennengelernt haben. Wenn auch der Anlass so schrecklich war. Aber ich freue mich, dass wir zusammen hier waren.«
» Ich auch«, sagte Sophie und drückte ihren Arm.
Diesma l sprach sie niemand auf der Fahrt an. Noch einmal sahen sie auf die Menschen, die zur Arbeit fuhren. Ein Schmelztiegel an Hautfarben und sozialen Schichten im Bus. Ein schwules Paar schaute sich tief in die Augen, der eine Mann hatte den Arm um seinen Freund gelegt. Niemand fand das eigenartig. Eine sehr schöne schwarze Frau in einem eleganten Hosenanzug sah mit ihren großen, fast schwarzen Augen zu Lene und Sophie hinüber. Als Lene lächelte, lächelte sie zurück. Ein älterer, gehbehinderter Mann mexikanischer Herkunft bekam selbstverständliche Hilfe, als er aussteigen wollte. Die Menschen sind hier freundlich miteinander, hilfsbereit, dachte Lene. Aber es gab auch das Bild, das sie hasste, weil es ihr immer ans Herz ging. Zwei jugendliche Drogenabhängige, vielleicht achtzehn, neunzehn, die stumpf vor sich hin starrten. Nichts von ihrer Umwelt wahrnahmen. Ihre Jugend einfach weggeworfen hatten.
Das Frühstück war heute besser – für amerikanische Verhältnisse, schmunzelte Lene auf dem Weg ins Kommissariat. Als sie oben ankam, empfing sie ein diesmal unruhiger Mike.
» Ich habe Bill schon alles erzählt. Ihn gebeten bei dem Verhör auf mich aufzupassen. Weißt du, als Zeuge gestern Abend habe ich eine ziemliche Wut auf diese Iris Johnson. Er meint, dass sie sicher vor lauter Eifersucht nicht ganz zurechnungsfähig war. Aber das genügt mir nicht!« Dabei hieb er mit der Hand auf den Schreibtisch. Dann, fast etwas resigniert, »Na, wir werden sehen.«
Aber in seinen Augen war immer noch Zorn.
»Es ist schlimm, auch für mich«, sagte Lene. »Aber du hast es geschafft. Denk daran. Der Fall ist gelöst. Es kommt jetzt wirklich darauf an, dass du eine Distanz bewahrst. Ich auch, und das fällt mir nicht leicht. Ich gebe mir auch schon den ganzen Morgen Mühe nur als Polizistin zu denken. Die Gefühle heben wir uns vielleicht besser für hinterher auf. Dann haben wir Platz für Zorn, dann ist alles unter Dach und Fach.«
Er zog sie als Antwort an sich , ließ sie aber gleich wieder los, da draußen Schritte zu hören waren. Nach einem kurzen Anklopfen kamen zwei Polizisten mit Iris herein. Sie war mit Handschellen an die Hand der weiblichen Polizistin gefesselt.
» Wir gehen hinüber in den Vernehmungsraum. Dort habe ich eine Videokamera installieren lassen«, sagte Mike.
Bil l wartete schon, hatte alles vorbereitet. Diesmal konnte Lene dabeibleiben. Sie nahm einen der vier Stühle und setzte sich etwas abseits. So konnte sie die Szene besser beobachten.
Iris sah sehr ungewohnt aus. Da sie sich sicher nicht selbst ha tte kämmen können mit ihren gebrochenen Rippen, hatte jemand ihr rotes Haar einfach zusammengebunden mit einem schmutzig-hellblauen Haarband. Ihr Gesicht war ungeschminkt und seltsam
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