Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
über das Leben und seine Tiefen auch einfach lachen konnte.
» Haben Sie etwas Neues, Mr. Fuller?«, fragte sie, wieder ernst werdend.
» Mike, bitte.«
» Okay, ich heiße Lene.« Sie fragte sich, ob die Amerikaner mit dem Vornamen nun zum DU wechselten. War das YOU jetzt anders? Sie entschied sich innerlich erst einmal für das Sie. Schließlich waren sie nur Kollegen.
» Yes, Lene, ich habe jetzt einen besseren Einblick und kann nur dankbar sein, dass Sie gekommen sind. Zwar sieht es immer noch so aus, als ob Marc Snyder Ihre Cousine getötet hat. Aber wir haben heute Morgen schon mit dem Zeugen Fred Masters gesprochen. Sie müssen sich das Band nachher anhören. Er ist ein ganz interessanter Typ, aber als Mörder kann ich ihn mir nicht recht vorstellen. Ich glaube eher, dass er in Joanne verliebt war. Da ist so etwas in seiner Stimme, wenn er von ihr spricht. Trotzdem – irgendetwas verschweigt er. Das spüre ich.«
Seine Hä nde unterstrichen seine Worte. Lene mochte lange, schmale Männerhände. So wie seine.
» Und andere Hinweise? Wen gibt es noch?«
» Wir haben ja erst angefangen. Jetzt geht es erst einmal in die Gerichtsmedizin. Ich hoffe, das wird nicht zuviel für Sie. Aber so können Sie selbst noch Fragen stellen.«
» Ich werde mich darauf einstellen. Bei Obduktionen dabei sein müssen wir ja öfter. Nur hier ist es … Bevor ich es vergesse - meine Tante hat gestern noch mit mir gesprochen. Es gab da einen seltsamen Anruf. Und sie sagte, der Safe in der Wohnung war offen und leer, als sie in die Wohnung kamen. Außerdem fragte sie nach dem Smaragdring, den Joanne getragen hat. Sie hatte ihn gerade von ihren Eltern zum Examen bekommen. Ist er an noch an ihrer Hand gewesen?«
» Ich denke daran. Und frage mich, wieso der Safe offen war? Wer hat ihn geöffnet? Das besprechen wir alles nachher beim Essen. Es wird anscheinend immer konfuser. Aber nun müssen wir erst einmal zu Gordon, Gordon Fields, unserem ›Mädchen für Alles‹, wenn es um den körperlichen Aspekt geht. Nein, im Ernst, er ist ein sehr gewissenhafter Pathologe.«
Unten stand ein Hyundai Sonata auf dem Ho f, auf den Mike zusteuerte. Lene ließ sich auf den Beifahrersitz sinken und genoss die Fahrt durch die Stadt. Wie klar gegliedert sie war. Die Straßen schnitten immer gerade durch die Innenstadt. Lene warf einen Blick auf den Stadtplan aus dem Hotelzimmer, den sie eingesteckt hatte. Und verstand, dass die Straßen hier alle vom Hügel zum Meer führten. Und da lag das Wasser schon vor ihnen, die Bay von San Francisco, gleißend im Sonnenlicht, denn die war inzwischen herausgekommen. Wie schön die Stadt liegt, dachte sie. Mike wies auf eine Insel, die gerade von einem Dampfer - offensichtlich voller Touristen - angesteuert wurde.
» Dort liegt Alcatraz. Gut, dass wir da niemanden mehr hinein verfrachten müssen. Das war wirklich ein grausiges Gefängnis.«
» Obwohl ich sicher Interesse haben müsste, ich möchte da nicht einmal als Besucherin hin. Die Hoffnungslosigkeit würde mich selbst als Polizistin lähmen, denke ich.«
» Gerade uns. Aber da sind wir schon.«
Der Hof, auf den sie fuhren, hatte die Trostlosigkeit aller Hinterhöfe irgendwo auf der Welt. Sie stiegen aus und gingen auf eine grüne Metalltür zu. War das ein altes Lager am Hafen gewesen? Drinnen empfing sie Kühle. Gekachelte Wände im Eingang unterstrichen die Unpersönlichkeit des ganzen Gebäudes. Dann traten sie in den neonhellen Obduktionsraum. Wie bei uns, dachte Lene. Diese Station ist wohl überall gleich. Sie sah zwei Bahren, auf denen sich unter je einem Laken ein Körper abzeichnete. Sie fühlte sich unwirklich, als ob das nicht ihr wirkliches Leben wäre. Keine Realität. Joanne lag dort und sie, Lene, musste dabei sein, wenn ihr schöner, junger Körper aufgeschnitten wurde. Ein Akt ungemeiner Zerstörung. Oder gerade gemeiner Zerstörung, je nachdem, wie man es sah. Die Trauer kroch in sie wie ein kalter, nasser Novembertag. Ein Mann kam auf sie zu um sie zu begrüßen. Vielleicht in ihrem Alter, rotbraunes Haar von großer Wärme, und auch in seinem Gesicht und den hellbraunen Augen schien die Wärme das Hauptmerkmal zu sein. Wie seltsam für einen Pathologen, der die ganze Zeit mit den Hüllen der Menschen zu tun hat. In sie hineinschaut, wenn da nichts mehr von ihrer Seele zu finden ist.
Und so wirst du jetzt denken, Lene. Dass das nur die Hü lle ist von dem Menschen, den du geliebt hast. Blut von deinem Blut. Beide stammen wir
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