Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Hast du schon gegessen?«
Lene bej ahte und so bestellte er sich nur ein Stück Kuchen zu seinem Kaffee. Lene war entsetzt.
» Ist das dein Mittagessen?«, fragte sie und er spürte, dass es den Eindruck machen musste, als ob sie sich um seine Ernährung sorgte. Er lächelte sie schweigend an und sie wurde rot. Ihr ewiger Fehler.
» Na gut, es geht mich ja nichts an, sehe ich ein.«
Sie sprachen noch einmal alle Aspekte durch. Nein, sagte Lene, Fred sei kein Linkshä nder. Das hatte sie schon überprüft, als sie das Verhör beobachtet hatte. Seitdem sie es einmal übersehen hatte, dass ein Mordverdächtiger Linkshänder war und daraufhin fast die ganze Aufklärung gescheitert wäre, achtete sie aus Gewohnheit immer darauf. Um kurz nach zwei gingen sie wieder hinüber und fanden den Autopsiebericht auf Fullers Schreibtisch vor. Mike konnte ihn gerade noch überfliegen, pickte noch den Punkt heraus, dass beide wirklich fast gleichzeitig getötet worden waren. Aber alles war wie vermutet. Da kam schon der Anruf von der Rezeption, dass Ms. Johnson auf dem Weg zu Detective Fuller wäre. Mike rief nach Bill, und Lene nahm wieder ihren Beobachtungsposten hinter der einseitigen Glasscheibe ein. Mike ging Iris Johnson zwei Schritte entgegen um sie zu begrüßen. Sie sah sehr gut aus. Ein lindgrünes Kostüm mit weißer Bluse ließ sie jung und frisch erscheinen und unterstrich ihr rostrotes Haar. Der superschlanke, ehrgeizige und zähe Typ Frau - dachte er bei sich. Nicht unsympathisch. Erreichte sicher etwas im Leben. Er konnte verstehen, was Fred Masters zu ihr hingezogen hatte. Eine Art Verlässlichkeit machte wahrscheinlich einen Kernpunkt in ihrem Wesen aus. Nicht unwichtig für einen selbst ebenso ehrgeizigen Typ wie Fred Masters, der sich durch ständige Leistung hocharbeitete.
» Setzen Sie sich doch, Miss Johnson. Ich bin Detective Fuller, das ist Sergeant Edwards. Sie haben doch nichts dagegen, dass wir das Gespräch mitschneiden? Nein? Gut, heute ist …« Fuller spulte die Formalien ab. Iris war neunundzwanzig Jahre alt und von Beruf Filialleiterin.
» Beschreiben Sie doch einmal den Tattag aus Ihrer Sicht, Ms. Johnson.«
» Iris. Sie können mich Iris nennen«, lächelte sie ihn an. Sie hatte sich gesetzt und die wohlgeformten Beine elegant übereinander geschlagen. Sie sah ihm offen in die Augen. »Also gut - Fred war sehr durcheinander wegen des Todes seines Großvaters. Der hatte ihn quasi aufgezogen. Seine Mutter musste immer bis spät arbeiten, der Vater auch. Und so war Jeff, Freds Großvater, immer mit Fred zusammen.«
» Hat der denn nicht gearbeitet?«
» Er hatte, soweit ich mich erinnere, während in den Siebzigern seinen Job verloren und - da er schon über fünfzig war - auch nichts Neues mehr gefunden. Was er genau gemacht hat, weiß ich nicht. Nur, dass er auch schon von seinem Großvater aufgezogen wurde. Seltsam, nicht? Sein Vater war im zweiten Weltkrieg gefallen.«
Sie verstummte und sah ihn erwartungsvoll an.
»Das ist ja glücklicherweise viel, was Sie über die Familie wissen. Das rundet doch das Bild von Fred, Ihrem Freund, ab.«
» Ja, das kommt, weil er nach dem Tod des Großvaters letzte Woche so viel über ihn gesprochen hat, und über seine Familie insgesamt. Das hat ihn alles sehr beschäftigt. Besonders nachdem er am Abend vorher die Papiere und Aufzeichnungen seines Großvaters sortiert hat und …«
Sie b rach mitten im Satz ab und vollendete ihn nicht.
» Und?« fragte Mike deshalb schnell, bevor sie den Faden verlor.
» Er hat sich an dem Abend mit mir getroffen und mir ganz viel davon erzählt. Es hat ihn irgendwie tief getroffen, besonders, weil er gemerkt hat, dass er der erste in der Familie war, der es geschafft hat, auf die Universität zu gehen. Und überhaupt – sein Großvater war wohl nicht einfach. Er hatte da so eigene Vorstellungen.«
» Was für Vorstellungen?«
» Da müssen Sie Fred fragen. Aber das ist ja auch nicht so wichtig für Sie. Mehr für ihn. So familienmäßig gesehen.«
» Und Sie haben zusammen gesessen am Abend vor dem Tod Ihrer Freunde?«, versuchte Mike wieder anzuknüpfen.
» Ja, und Fred war so unglücklich und durcheinander, dass er sich ordentlich einen – er hat sich an dem Abend betrunken«, korrigierte sie sich. »Ich musste ihn nach Hause bringen. Ihn sogar ins Bett bringen. So hatte ich ihn noch nie erlebt.«
Mike sah die junge Frau an und dachte ü ber den mütterlich-besorgten Zug in ihrer Schilderung nach.
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