Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Schreibtisch in seinem Büro wiederfand.
Er starrte auf das Foto auf seiner Schreibtischauflage. Ein junges Mä dchen, fast noch ein Kind, vergewaltigt und erdrosselt aufgefunden. Kein schönes Bild. Manchmal hatte er diesen Beruf so satt! Aber solche Gedanken waren müßig, gehörten zum vertrauten Gefühl von Erschöpfung und Müdigkeit. Fuller stand auf, ging hinaus zum Waschraum und ließ kaltes Wasser über seine Handgelenke laufen. Dann fing er das Wasser mit beiden Handflächen auf und klatschte es sich ins Gesicht. Beim Hochkommen blickte ihm sein Spiegelbild entgegen. Er lächelte ironisch. Ohne die roten Augen und die Müdigkeitsfalten sähest du noch richtig gut aus, alter Junge. Aber wer sieht das schon? Im Police Department war er nachts oft fast der Einzige und tagsüber? Na ja, der Pathologe war ein Mann, die Kriminaltechnik bestand aus Männern bis auf zwei Frauen, eine seit dreißig Jahren und die andere gerade verheiratet. So wie seine Kollegin Kate, die er schon vor drei Stunden nach Hause zu ihrem noch ganz neuen Ehemann geschickt hatte, damit nicht auch ihre Ehe gleich wieder zerbrach.
Er ging zurü ck in sein Büro und goss sich den bestimmt vierzigsten Becher Kaffee ein. Der Fall – Greta Ingwersen, ein schwedisches Mädchen von sechzehn Jahren, in zwei Monaten wäre sie siebzehn geworden. Au-pair bei einem Stadtratsmitglied, einem engen Freund des Gouverneurs. Sie hatte für ein Jahr die Schulausbildung unterbrochen und wollte nach diesem Jahr in den USA weiter zur Schule gehen und hier das Abitur machen. Der Stadtrat war ein Freund ihrer Eltern – das machte die Ermittlungen nicht gerade leichter. Mit wem war sie nur in den Lincolnpark hinaus gefahren? Allein? Vielleicht wollte sie zur Golden Gate Bridge und war ausgestiegen, um den letzten Teil des Weges zu Fuß zu gehen und so einen ganz persönlicheren Eindruck zu haben vom ersten Blick auf die Brücke von oben. Wie sollte sie wissen, dass es hier anders war als in Schweden, dass die Natur in und um San Francisco gefährlich war für Frauen allein? Weiter versuchte Fuller sich in das Opfer hineinzuversetzen. Sah sie im Sonnenschein durch den Park gehen - plötzlich liegt dort unten die Brücke! Fasziniert versucht sie näher heranzukommen, verlässt die Straße, nimmt einen Abkürzungsweg durch den dichter werdenden Wald. Jemand folgt ihr – und dann ist es zu spät. Zu spät für ein Leben. Die Ermittlungen liefen auf Hochtouren. Gordon hatte am späten Nachmittag noch aus der Rechtsmedizin angerufen, die Autopsie war beendet. Sie hatten Spermaspuren gefunden und die DNS Bestimmung gleich in Auftrag gegeben. Taxifahrer, Busfahrer befragt. Sie würden den Täter finden.
Sein müder Blick glitt von den Unterlagen zu dem Fall über den Schreibtisch. Ein gelbes Blatt lugte hervor. Er griff danach, zog es heraus und fand eine Notiz von Bill Edwards, seinem Sergeant. Dann fiel sein Blick auf das Datum. Schon von gestern Abend. Er hatte einen Fall in der Filbert Street untersucht.
Wir wurden gestern, am 1. April um etwa 22 Uhr in die Filbert Street gerufen, schrieb Bill. Ein Beziehungsdrama. Die Frau lag erschossen im Badezimmer, der Mann, ebenfalls erschossen, auf dem Bett im Schlafzimmer. Das Badezimmer ist nur durch das Schlafzimmer erreichbar. Die Tatwaffe, eine Pistole mit großem Kaliber, lag neben dem Mann. Die Fingerabdrücke auf der Waffe sind seine. Er hat offensichtlich erst die Frau erschossen und anschließend Selbstmord begangen. Die Frau heißt Joanne York und der Mann Marc Snyder. Beide Elternpaare haben sie heute identifiziert. Gott sei Dank einmal ein klarer Fall. Ich gehe jetzt nach Hause. Gute Nacht. Bill
Wenigstens einmal eine einfache Lösung. Fuller schob alle Unterlagen zusammen. Ich geh jetzt auch nach Hause, murmelte er verschlafen. Ein Whiskey und ein heißes Bad. Es langt.
K apitel 5
Montag, 4. April
Am nä chsten Morgen weckte sie der Duft von Kaffee. Was heißt hier Morgen, dachte sie benommen. 4:00 zeigte ihr Wecker. Sophie rumorte schon im Gästebad. Lenes Koffer stand gepackt im Zimmer. Auf nach Amerika! Immer hatte sie ihren alten Onkel besuchen wollen, den letzten aus der Familiengeneration über ihr und ihren Geschwistern, seitdem ihre Mutter tot war. Und sich so über die Hochzeit als Anlass gefreut. Aber jetzt? Falscher Augenblick für solche Gedanken, Lene, ermahnte sie sich und schwang ihre Beine aus dem Bett. Jonas hatte bereits das Frühstück fertig.
» Du bist einfach der liebste
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