Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
große sieben-Zimmer-Wohnung gewohnt war, es kaum aushielt. Sie hatte nicht einmal Platz für ihre wenigen Kleider, die sie von ihrer verheirateten Schwester Brigitte geerbt hatte, als diese vor drei Monaten mit ihrem Mann nach Amerika ausgewandert war. Und die dann von den Möglichkeiten dort und dem Land so begeistert war, dass sie mit dieser Begeisterung ihre Brüder angesteckt hatte. Robert hatte gerade seinen Braumeister gemacht und hätte eigentlich in die väterliche Brauerei einsteigen sollen. Aber die war ja nun verbrannt, genau wie die Gastwirtschaft.
Max hatte in einer Bank gelernt und arbeitete seit zwei Jahren in der Kreditabteilung. Ohne jeden Anreiz einmal im vä terlichen Betrieb zu arbeiten, ließen sie sich von Brigitte nur zu bereitwillig über den Atlantik locken. Beide hatten sehr gute Anstellungen gefunden und schrieben in ihren seltenen Briefen begeistert von ihren neuen Erfahrungen.
Nur sie war eingesperrt. Ohne Mitgift - denn der Vater war plötzlich ein armer Mann - gab es für sie keine »passende Partie « . Sowohl ihre Bildung – sie hatte in der fortschrittlichen Klosterschule der »Englischen Fräulein« in Bamberg die Ausbildung einer »höheren Tochter « genossen sowie zusätzlich auch eine hauswirtschaftliche Ausbildung. Beides in Hinsicht auf das »große Haus « , das sie dadurch führen konnte. Nun war das alles umsonst und eher ein Hindernis. Die armen Männer konnten mit der »hochnäsigen Ziege « nichts anfangen, die besser gestellten hatten kein Interesse an einer tüchtigen Frau, die ohne Vermögen war.
Sie hauchte auf die Scheibe. Lona, du sitzt in der Falle. Allein kannst du nicht nach Amerika, weil du e ine Frau bist. Deine Brüder haben noch keinen eigenen Haushalt, deine Eltern eigentlich keinen Platz für dich. Das Einzige, was dir bleibt, ist dir irgendwo in Bamberg eine Anstellung in einer Gaststätte zu suchen. Angewidert machte sie sich klar, was das bedeutete. Männerhände auf ihrem Hintern, zotige Sprüche. Nicht mehr unter dem Schutz des Status der Tochter des Besitzers. Sie wusste sehr wohl, dass sie dadurch eine Sonderstellung gehabt hatte. Bei diesen Gedanken kam ihr Zacharias in den Sinn. Zu ihrer Überraschung und Genugtuung hatte die Polizei ihn ziemlich bald verhaftet. Die Beweise für die Brandstiftung waren erdrückend. Nicht nur, dass er ein Motiv gehabt hatte durch die Entlassung auf Grund seiner Unehrlichkeit, zudem sein Übergriff auf Lona kurz vor dem Brand, zusammen mit der Auseinandersetzung mit dem Vater wurden als Gründe für die Brandstiftung angenommen. Außerdem hatten ihn mehrere Zeugen in der Nähe des Hauses zur Zeit des Brandes gesehen. Während der Gerichtsverhandlung hatte er zwar behauptet, dass er nur ums Haus geschlichen war, um Lona noch um Verzeihung zu bitten, aber das hatte ihm nun wirklich niemand geglaubt. Er war zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt worden, da der Gedanke der Rache und das Inkaufnehmen des Todes der Familie Haffner als besonders schwerwiegend angesehen wurden.
Na, der war we nigstens weg und hatte seine gerechte Strafe bekommen, dachte Lona. Aber das war auch das einzig Erfreuliche. Sie vermisste sogar die Wärme der Gaststube am Abend, den Duft nach gutem Essen, die fröhlichen Gespräche der Gäste. Die Eltern waren wie betäubt und völlig verändert nach der Katastrophe. Was sollte nur werden? Sie hörte die Schritte ihrer Mutter auf der Treppe. Lona öffnete die Tür.
» Brauchst du mich, Mutter?«, fragte sie. Aber ihre Mutter kam herein, ließ sich auf dem Bett in Lonas enger Stube nieder und bat sie, sich neben sie zu setzen.
» Lona, heute ist etwas Wichtiges passiert. Vater und ich sind so froh. Stell dir vor, Lorenz Röthlein hat um deine Hand angehalten.«
Lona wurde ganz blass. Lorenz Röthlein?
Jeder in Gaustadt kannte seine Geschic hte. Jedem zog es das Herz zusammen, wenn sein Name fiel. Ein junger Bauer, wohlhabend und glücklich verheiratet und schon drei kleine Söhne. Und dann war seine Frau wieder schwanger geworden. Im Krankenhaus hatte sie ihren vierten Jungen zur Welt gebracht. Einen Tag später jedoch waren die anderen drei Jungen an Hirnhautentzündung erkrankt und alle innerhalb von drei Tagen gestorben. Durch diesen grausamen Schmerz hatte die junge Frau – sie war erst sechsundzwanzig Jahre alt – Kindbettfieber bekommen. Sie war nach zwei weiteren Tagen gestorben und das Neugeborene mit ihr.
Hilflos stand die Gemeinde neben dem jungen Vater, der alle, die er
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