Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
nicht gerade eine Frau ist, habe ich da wirklich keine Sorge. Du mit deinen großen, blauen Augen und deinem Lächeln – der kann dir bestimmt nicht widerstehen. Und dann bist du noch blond! Zieh bloß nichts Schwarzes an, das mögen die Amerikaner nicht. Lieber etwas, was deine Figur betont. Und dafür sorgt, dass deine Beine zur Geltung kommen.«
Lene dachte an ihren tä glichen Kampf um diese Figur, die trotzdem in den letzten zwei Jahren unerbittlich eine Kleidergröße mehr verlangt hatte. Dann musste sie aber doch lachen.
» Ach, Sophie, was täte ich ohne dich! Mein größter Fan bist eben doch du! Gut, ich werde mir Mühe geben. Wolltest du mir nicht noch die Ausdrucke von Joannes E-Mails geben?«
» Jetzt habe ich die im Koffer. Und damit aufgegeben. O wie blöd! Ich gebe sie dir gleich im Hotel.«
» Das reicht mir dann auch noch. Ich will erst morgen nach dem Frühstück zum Kommissariat.«
Sie wurden von der Stimme des Flugkapitä ns unterbrochen, der die Landung im Flughafen Charles-de-Gaulle in wenigen Minuten ankündigte. Bedeckter Himmel, Temperatur dort 17°. Paris in Springtime - sang es in Lene. Sie erlaubte sich kurz einen gedanklichen Ausflug ans französische Mittelmeer, ihr Sommerparadies. Sophie unterbrach ihr Träumen.
» San Francisco ist auch nicht viel wärmer. Komisch. Gut, dass Jonas gestern noch nachgesehen hat. 18° ist für California ja nicht gerade viel. Was hast du denn zum Anziehen mit?«
Sie verglichen und widme ten sich so wichtigen Frauenproblemen wie Jeans oder nicht Jeans, T-Shirts im Outlet kaufen oder nicht. Alles war gut um sich abzulenken. Nach einem durch eine leichte Verspätung äußerst hektischen Flugzeugwechsel quer durch den riesigen Flughafen Charles de Gaulle saßen sie endlich in der Maschine nach San Francisco. Sophie nahm sich den Reiseführer von Kalifornien vor und las, unterbrach die Stille aber bald wieder.
» Hast du das gewusst, Lene? In San Francisco gibt es auch ein Museum of Modern Art, kurz MOMA. Wie in New York. Dort ist gerade heute Nachmittag der Eintritt frei. Da würde ich gern noch hingehen. Wir fliegen ja gegen die Zeit und sind schon um vierzehn Uhr dort. Ist im Zentrum. Das kann nicht so weit sein.«
Lene nickte, hö rte aber nicht richtig zu. Sie suchte gerade spielerisch nach einer Umrechnungsformel von Fahrenheit in Celsius an Hand der eingeblendeten Temperaturgrade. Sie wollte ihre entwickelte Formel gerade erklären d(c) = (d(f) – 30):2, also die Fahrenheittemperatur minus dreißig und dann die Hälfte, als sie sah, dass Sophie schon abgeschaltet hatte. Mathematikerin – Lene hatte vor ihrem Eintritt in die Polizei Mathematik studiert – kontra Künstlerin, denn Sophie war Malerin. Als sie eines Tages die Chance bekam in der Galerie Neumann in Hamburg ausstellen zu können, griff sie mit beiden Händen zu. Auf Anhieb verstand sie sich so gut mit ihrer Chefin Rosa, dass die sie nach Beendigung der Ausstellung in ihrer Galerie anstellte, als rechte Hand. Für Sophie eine großartige Gelegenheit regelmäßig Geld zu verdienen und zugleich viele Leute kennenzulernen, die in der Kunstbranche wichtig waren. Auch wenn sie im kühlen hanseatischen Hamburg oft die fränkische Lebensart vermisste.
Lene mochte Sophies Bilder, ihre Art zu malen. Jedes ihrer impressionistisch anmutenden Bilder, ihre Portraits und Landschaften, die immer Ausdruck von Seelenstimmungen waren, ebenso wie ihre klaren, abstrakten Bilder. Die Wärme und Leuchtkraft ihrer Farben vermittelten eine innere Tiefe und eine breite Gefühlsskala. Lene empfand ihrer beider Gegensätzlichkeit als etwas Überraschendes und außergewöhnlich Bereicherndes, sich gegenseitig Ergänzendes. Wurde sie doch oft von ihrer logischen Analyse weg gerade durch ihre Tochter wieder in ihre eigene Emotionalität und ihre Intuition geführt. Sophie kuschelte sich in den Sitz und versuchte bis zum Mittagessen zu dösen. Auch Lene genoss die Ruheminuten. Wieder Zeit um weiterzulesen. Sie holte die Chronik hervor.
Kapitel 6
14. Februar 1884
Lona schaute aus dem Fenster in die wirbelnden Schneeflocken. Sie versuchte etwas von ihrer Stille und Leichtigkeit aufzunehmen, aber es g elang ihr nicht so wie früher. Sie konnte sich einfach nicht mit der Situation abfinden, die ihr wie ein endloser Sturz vorkam. In dem Häuschen, in dem früher der Braumeister gewohnt hatte und in dem sie jetzt nach dem Brand als Provisorium mit ihren Eltern wohnte, war es so eng, dass sie, die eine
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