Auf Amerika
kommen zu wollen. Dann kamen die Engländer, bombardierten die Deiche. Die Minen gingen hoch, und die Einheit wurde von Tieffliegern beschossen. Neben dem Ludwig fielen die Kameraden. Wer noch lebte, floh, lief, weg vom Meer, von wo das Unheil kam und sogar das Meer selbst, ungezügelt und verheerend. Dann gab es einen großen Knall.
In einem Lazarett wachte der Ludwig auf. Als er zu sich kam, befühlte er seinen Körper. Nichts fehlte. Nichts! Er war unverletzt! Er lachte, lachte laut, aber er hörte sein Lachen nicht. Und auch sonst hörte er nichts. Überall lagen Verletzte mit verbundenen Armen, Beinen, Köpfen. Blut sickerte durch die Verbände. Ludwig sah den jungen Mann neben sich stöhnen, aber er hörte ihn nicht. Ludwig schrie, so laut er konnte. Aber er hörte nichts. Pfleger erschienen und ein Arzt. Man schrieb ihm auf einen Zettel, dass er sein Gehör verloren habe, man aber voller Hoffnung sei, dass er es zurückbekomme. Ab sofort redete der Ludwig, wenn er wach war, ständig laut, sehr laut vor sich hin, in der Hoffnung, sich doch zu hören. Dem Bettnachbarn, dem sie einen Arm abgenommen hatten, erzählte er sein Leben. Er redete so lange, bis er, es waren ein paar Wochen vergangen, sich wieder verstand. Ich höre mich, ich höre wieder!, rief er.
Dann halt jetzt endlich mal den Mund, sagte der Bettnachbar.
Der Messmer-Ludwig konnte tatsächlich wieder hören, was die Menschen sagten. Er war am Meer gewesen und hatte es nicht gesehen. Aber fortan rauschte es in seinen Ohren, es war in ihm drin, das Meer – bis an sein Lebensende.
Vier Söhne sind vom Messmer im Krieg gewesen. Der Franz und der Alois sind gefallen. Der Alfons, der Älteste, der kurz vor Kriegsbeginn geheiratet hatte, kam unversehrt gleich in den ersten Tagen nach dem Krieg zurück. Zum ersten Mal sah er die Zwillinge, die seine Frau Maria geboren hatte, als er schon an der Front war.
Vom Ludwig hatte man Nachricht, dass er in Aachen im Lazarett lag. Schließlich kam auch er nach Hause. Er hatte sein Gehör verloren und wiedergefunden, er hatte keinen Arm, kein Bein verloren, aber, das wurde allen in Hausen und vor allem den Messmers bewusst, der Krieg hat ihm, wie der Alfons es sagte, ein Stück von seinem Hirn genommen. Er war nicht mehr der Ludwig, der in den Krieg gezogen war. Er war seltsam geworden, ein Spinner, wie man zu sagen sich angewöhnte. Er redete nachts laut, saß da, starrte vor sich hin, sprach zu den Tieren, erzählte ihnen Geschichten, vergaß, was man ihm gerade gesagt hatte, redete oft wirres Zeug. Jedermann forderte er auf, ganz nah an sein Ohr heranzutreten, um das Meer zu hören. Die Zwillinge hatten erst Angst vor ihm, dann hänselten sie ihn. Es war, so beschlossen Alfons und Maria, kein zu ertragender Zustand mehr. Sie fanden eine Lösung.
Alfons, der als der älteste der Brüder selbstverständlich den Hof übernahm, zahlte den Bruder aus. Auf einem Grundstück im Unterdorf, das Alfons an Ludwig abtrat, baute der sich ein Haus, das ein Haus zu nennen sich die Dörfler schwertaten. Es war eine Art Baracke, in der Ludwig wohnte, die er ständig erweiterte. Bretterverschläge, Schuppen, ein Hühnerstall, ein Stall für zwei Schweine und eine Ziege, ein Brunnen und ein Teich entstanden über die Jahre, und Ludwig sprach fortan von seinem Paradies. Er baute und baute, sammelte alte Pflüge, Pferdegeschirre, Ölbilder mit Alpenlandschaften und leichtbekleideten Zigeunerfrauen, ausrangierte Möbel, Gipsstatuen. Ein Hund hauste im Wrack eines Amijeeps, die Hühner, die Schweine und die Ziege, der Hund und zahlreiche Katzen, die sich ständig vermehrten, später noch zwei Truthähne und ein Pfau, der kein Rad mehr schlagen konnte, weil ihm die Federn dazu fehlten, liefen tagsüber frei herum. Es war eine Mischung aus Schrottplatz und Abenteuerspielplatz, Müllhalde und Wallfahrtsort, Zoo und Museum. Kleine Gipsgrotten mit Marienbildern, über einem Sofa Leda mit dem Schwan, ein goldgerahmter Druck, halbblinde Spiegel überall, ein heilloses Durcheinander, Unordnung, viele angefangene Bauten, die nie fertig wurden, Baumaterialien, Schrott, ein Museum, das den Hausenern den harmlosen Wahnsinn des Messmer-Ludwig sichtbar machte.
Hinter der Wohnbaracke stand eine Hollywoodschaukel. Wo er die herbekommen hatte, blieb sein Geheimnis.
Dort war der Lieblingsplatz vom Ludwig. Da saß er und starrte auf sein Meer, das er immer rauschen hörte. Die Hollywoodschaukel wurde ihm zum Schiff, das auf den Wellen trieb, von
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