Auf Amerika
einem alten Plattenspieler hörte er Seemannslieder, und er träumte sich eine Seefahrt übers große Meer auf Amerika.
Natürlich blieb er Junggeselle, und manchmal kamen die anderen Junggesellen des Ortes zu ihm, so auch der Veit, und es ging fröhlich zu bis tief in die Nacht. Es verband sie die Tatsache, dass sie keine Frauen hatten und möglicherweise auch trotz der Anstrengungen des Hochzeitsladers keine mehr finden würden. Sie saßen lange, tranken und sangen, wärmten sich aneinander, griffen sich zwischen die Beine, spürten ein wenig von dem, was ihnen bei den Frauen verwehrt war, träumten sich mit dem Ludwig und Onkel Walter auf ein Schiff, wollten auf Amerika, gerieten in Seenot, erreichten Amerika nie. Als das Gerücht aufkam, der Ludwig habe seinen Schwanz dem Keller-Sepp in den Hintern gesteckt, beobachtete man diese Männergesellschaft im Paradies mit leichtem Argwohn.
Der Bruder und die Schwägerin mieden den Ludwig, sie schämten sich für ihn, wozu es, wie mein Vater sagte, gar keinen Grund gab. Er hielt den Ludwig nicht für einen Verrückten, und ich glaubte manchmal, er hätte gerne auch so leben wollen, ohne die verschuldete Schuhschachtel, ohne Frau und Kind, ohne die Last und Mühe des Alltags, ohne die Verpflichtung, seine Familie zu ernähren, ohne einer alten Frau in Berlin, die seine Schwiegermutter war, dankbar sein zu müssen. Der Ludwig, sagte er, ist der glücklichste Mensch in Hausen. Sicher dachte das manch anderer auch.
Da der Ludwig regelmäßig in die Kirche ging, beichtete, am Sonntag die Ruhe nicht störte, keinem etwas zuleide tat, immer freundlich war, sein Bier in der Wirtschaft trank und sogar eine Feuerwehruniform hatte und an Übungen teilnahm, sagte man nichts Schlechtes über ihn. Er spinnt halt, und daran ist der Krieg schuld, sagte man, besser spinnert als tot. Und Gerüchte gab es viele. Man gab gegebenenfalls nichts auf sie.
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Wir Kinder lieben das Paradies vom Messmer-Ludwig, und für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass er es so nennt. Die Höfe, die Scheunen und Ställe, die Schuppen, Werkstätten und Bienenhäuser, die Heuboden und die Misthaufen, die Jauchegruben und die Aborte sind sich ziemlich gleich. Es ist egal, ob wir beim Lammer, beim Bachmeier oder beim Stadler, beim Krimmer oder beim Karpfinger oder beim Kiermeier Verstecken spielen. Es ist alles irgendwie gleich im Dorf, das unser Spielplatz ist. Beim Ludwig ist alles anders als irgendwo sonst.
Neben dem Veit, der halt immer schwer arbeiten muss und nicht so viel Zeit hat, und den Holzers mit ihrer Schreinerei ist der Ludwig für mich die wichtigste Person im Dorf. Kein Oktoberfest, kein Volksfest, keine Geisterbahn, keine Hinrichtung beim Schichtl, kein Tierpark ist so spannend wie das Paradies im Unterdorf zwischen den Schuhschachtelhäusern der Flüchtlinge, wo Zwiebeln, Paprika und Knoblauch als Zöpfe unter den Dächern der Häusern hängen, wo es Ziegen gibt und Kaninchen, wo, wie mein Vater sagt, der Balkan beginnt, wo es irgendwie anders riecht als im Oberdorf, wo die größeren Bauern sind und wir unsere Schuhschachtel haben, am Hang über der Pfarrerwiese.
Beim Ludwig ist immer was los, gibt es was Neues zu bestaunen, wird gerade wieder irgendeine wahnwitzige Idee in die Tat umgesetzt. Und er hat immer für uns Zeit, wir dürfen helfen, dürfen selbständig aus dem ganzen Schrott, der herumliegt, Sachen bauen, Ludwigs Werkzeug benützen. Oder wir sitzen bei ihm auf der Terrasse am Meer, und er erzählt Geschichten aus aller Welt, die in den drei dicken Büchern stehen, die er besitzt. Manchmal liest er uns daraus vor, aber wir merken, dass er gar nicht liest, er kennt die Geschichten auswendig.
Beim Ludwig im Paradies gibt es eine andere Zeit, eine andere Welt, dort ist nichts so wie bei irgendeinem von uns daheim. Denn beim Ludwig verstecken sich gute und böse Geister, Heilige und Zwerge, Feen und Hexen und der Teufel selber. Mit allen redet der Ludwig, darum tun sie uns nichts. Auch der Teufel, der im Hund vom Ludwig steckt, tut uns nichts.
Dem Ludwig kann man alles erzählen, und wie mit dem Veit kann man Geheimnisse mit ihm haben.
Ich darf nicht immer zum Ludwig gehen, weil ich dort die Zeit vergesse, meine Schularbeiten nicht mache und meistens völlig verdreckt heimkomme.
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Als ich schon auf dem Gymnasium war, kamen Gerüchte auf, der Ludwig habe sich an kleinen Buben vergangen. Ich glaubte das nicht. Ich wollte es nicht glauben, und ich hatte auch keinen
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