Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Schroeder
Vom Netzwerk:
Grund, es zu glauben.
    Doch es wurde traurige Wahrheit aus dem Gerücht. Zwei Buben behaupteten, der Ludwig habe Schweinereien mit ihnen gemacht. Man verhörte den Ludwig, er gestand, man brachte ihn weg, wies ihn in eine geschlossene Anstalt ein, in ein Irrenhaus, wie man bei uns sagte. Er kam nie mehr zurück, wurde nach einem Jahr tot in einer Toilette der Anstalt aufgefunden, er hatte sich erhängt.
    Das Paradies blieb von da an geschlossen.

44
    Veit, warum hast du eigentlich keine Frau?, frage ich, während mir der Veit zeigt, wie man Weidenpfeifen schnitzt. Er lächelt, antwortet erst einmal nicht. Mit dem Griff eines Messers klopft er auf das nassgemachte Weidenhölzchen und wiederholt mehrmals den Zauberspruch, ohne den, wie er sagt, keine Weidenpfeife etwas wird, der ein Ritual ist, wie das Sensendengeln:
     
    Pfeiferl, Pfeiferl geh herab,
    schneid dem Jakob die Haare ab,
    laß ihm noch ein Schöpfchen stehn,
    ist der Jakob noch so schön.
    Gib dem Jakob einen Hut,
    der steht im besonders gut,
    kauft man ihm ein Leiberl,
    findet er ein Weiberl.
    Jetzt sag doch!
    Was?
    Warum du keine Frau hast?
    Ich brauch doch keine Frau.
    Warum nicht?
    Mir geht’s doch so auch gut.
    Dann kriegst du nie Kinder und bist keine Familie.
    Schau, Bub, schau dir die Pfarrer an. Die haben auch keine Frau und keine Kinder und keine Familie und nichts, und denen geht es doch gut. Oder dem Messmer-Ludwig, dem geht’s doch auch gut. Und es sind etliche da, die haben eine Frau und streiten und was weiß ich alles, und es geht ihnen nicht gut. Da bin ich lieber allein.
    Warum bist du dann nicht Pfarrer geworden?
    Das wär was, ich und Pfarrer!
    Warum?
    So ein Gottloser wie ich und Pfarrer. Das tät dem Herrgott nicht gefallen.
    Die Lammermutter sagt, dass der Hochwürden auch gottlos ist.
    Bub, ich sag dir ein Geheimnis, aber das darfst du keinem sagen.
    Ich sag’s keinem.
    Den Herrgott, flüstert er, den gibt’s gar nicht.
    Ist das wahr?
    Ich schwör’s dir. Aber sag’s keinem.
    Ich sag’s keinem.

45
    Im Juni liefen wir Dorfkinder barfuß. Immer, bei jedem Wetter, überallhin, auch in die Kirche und in die Schule. Eigentlich auch schon im Mai. In den Monaten ohne »r«, von Mai bis August, brauchten wir keine Schuhe. Wir traten uns Nägel oder Glasscherben ein, und es bildete sich Hornhaut unter den Füßen, die nie richtig sauber wurden. In der Schule, wo alle acht Klassen in einem Raum saßen, stank es manchmal wie in einem Kuhstall, denn natürlich mussten die Bauernkinder morgens im Stall helfen und kamen nicht dazu, sich danach die Füße zu waschen.
    Mit dem Juni war für uns der Sommer wirklich da. Wir hüteten die Kühe, fingen im Bach Forellen mit der Hand und schauten in der Scheune nach, was bei den Mädchen anders war als bei uns. Es war schön, im Juni Geburtstag zu haben. Es gab Erdbeertorte, man konnte mit den Verwandten aus der Stadt draußen sitzen, was das Einzige war, was sie an unserem Leben beneideten. Dass im Juni der Holunder blüht und wunderbar riecht und dass die Bauerngärten beginnen, ihre vollste Staudenpracht zu entfalten, das wurde mir erst bewusst, als ich nicht mehr auf dem Dorf lebte.
    Während meiner Volksschulzeit unterschied mich viel von meinen Vettern aus der Stadt. Mein Spielzimmer war die Natur, waren die Höfe, die Handwerksbetriebe, die Felder und Wiesen, das Moos und der Wald und das Paradies vom Messmer-Ludwig. Besorgt sagte meine Tante Barbara aus der Stadt oft zu meinen Eltern: Der Junge verwildert.
    Was soll ich dagegen tun?, fragte meine Mutter.
    Das ist doch gut so, sagte mein Vater.
    Er, konnte man sagen, verwilderte ja auch.

46
    Wir fahren das Heu ein. Ich vorne auf einem der Gäule sitzend, hoch oben, mit nackten Beinen, stolz, ungeheuer wichtig, mit einem kleinen Anflug von Angst auch, mehr damit beschäftigt, die Bremsen vom massigen Körper des Pferdes zu scheuchen als ihm den Weg zu weisen, von der Wiese im Moos, durchs Dorf zum Lammerhof, über den Hof in die Scheune. Die Gäule kennen den Weg. Sie würden ihn auch ohne meine Begleitung finden und das Fuder Heu heil nach Hause bringen.
    Dann ist Feierabend. Es gibt Semmelknödelsalat und ein Stück Schweinernes. Die Männer trinken Bier, das wir Kinder in Krügen aus der Wirtschaft holen. Und dann, ich darf noch aufbleiben, treffen sich alle auf der Gred vor dem Haus, sitzen auf der langen Bank oder auf aus der Küche dazugeholten Stühlen und trinken, stricken, reden und singen. Beim Lammer trifft sich an solchen

Weitere Kostenlose Bücher