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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Schroeder
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Gnade und Vergebung anrechnen.

54
    Die Firma, für die mein Vater seit einiger Zeit malzhaltige, gesunde Kindernahrung verkauft, macht Pleite. Wir wohnen bereits in unserem Haus und haben den Keller voll mit dem nicht mehr verkäuflichen, klebrigen Zeug in großen Blechdosen, ich muss das jetzt monatelang essen, ehe es dann doch verdorben ist, und der Vater hat wieder mal keine Arbeit, keinen Verdienst. In der Zeit bringt er mir das Schachspielen bei, das er im Krieg gelernt hat. Er gewinnt immer, was ihm, glaube ich, sehr wichtig ist. Dann hat er eine neue Arbeit. Er verkauft ein neues, speziell entwickeltes, als Patent angemeldetes Hühnerfutter, das aus Soja und getrocknetem peruanischen, zerriebenen Fisch besteht. Sieben Monate geht mein Vater diesem Geschäft nach, da aber kaum jemand das Zeug kaufen und füttern will, gibt er es eines Tages auf. Sieben Monate stinkt unser Haus nach diesem Futter. Nicht nur das Haus, auch meine Kleider stinken. Ich sitze in der Schulbank und rieche diesen peruanischen Fisch.
    Ab sofort esse ich keinen Fisch mehr. Dabei habe ich so gerne die am Lagerfeuer gebratenen, von uns mit der Hand gefangenen Forellen gegessen. Vorbei.

55
    Der Veit nannte einen wie meinen Vater einen Arbeitanschauer. Zwei linke Hände, von allem nur etwas Ahnung, eine Spur Bildung und Wissen, ein geöltes Mundwerk, Sprüche und Charme. Solche wie mein Vater wurden, wenn sie vom Dorf kamen, Viehhändler, wenn sie aus Berlin kamen, Vertreter. Mein Vater war Vertreter. Er hat schon alles Mögliche vertreten. Zurzeit war es dieses fischige Hühnerfutter.
    Mein Vater konnte jedem, der ihn noch nicht kannte, das Gefühl vermitteln, dass er von allem etwas verstand und alles konnte. Damit er den Beweis dafür nie erbringen musste, aber auch der Lächerlichkeit des Gescheiterten nicht ausgesetzt war, erklärte er stets, dass er das Anliegende ja machen wollen würde, im Moment aber anderes, Wichtigeres zu tun und deswegen keine Zeit habe, dass es fatalerweise im Moment nur an seiner Überarbeitung liege, warum er nicht selbst Hand anlegte. Alle würden was von ihm wollen, an ihm zerren, er komme gar nicht mehr zur Ruhe, um sich den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zuzuwenden.
    Wer diese alle waren, das habe ich nie begriffen, denn jeder im Dorf kannte meinen Vater und verlangte deswegen auch nichts von ihm. Und was die von ihm beschworenen wirklich wichtigen Dinge des Lebens sein sollten, verstand ich auch nicht.
    Manchmal unterstrich er seine erklärte Bereitschaft, zu helfen und zu handeln und die Dinge in Gang zu bringen, mit einem kurzen Handgriff. Er strich eine halbe Zaunlatte von den hundert zu streichenden, er machte zwei Spatenstiche, wo eine Grube auszuheben war, um den toten Hund zu begraben, oder er zeichnete mit dem Bleistift an, wo ein erster von vielen Nägeln einzuschlagen war. Dann klopfte er imaginären Staub von Händen, Jacke und Hose und ging eilig davon, vermeintlichen Geschäften folgend, die er jetzt, wie er sagte, fast vergessen hätte, die möglicherweise jene wirklich wichtigen Dinge des Lebens waren.
    Dass er schon mit dem Einschlagen eines ersten Nagels überfordert war, das begriff ich erst, als er sich tatsächlich einmal anschickte, etwas zu bauen.
    Der Lammer-Sepp, der vor kurzem den Hof übernommen hatte, ein ansonsten modern denkender Mensch, wie mein Vater sagte, weigerte sich, seine Hühner statt mit Körnern mit Vaters Futtermittel zu füttern. Fortan bezogen wir von ihm, der sich, was ansonsten gar nicht seine Art war, so schnöde dem Fortschritt verweigerte, keine Eier mehr. Vater beschloss: Wir werden selbst Hühner haben. Eines Tages brachte er vier Hühner und einen Hahn – den war er sich schuldig.
    Aber wir haben ja gar keinen Hühnerstall, sagte meine Mutter entsetzt.
    Dann bauen wir am Wochenende einen, triumphierte er.
    Wer ist wir?, fragte meine Mutter.
    Na ich – und der Junge kann mir zur Hand gehen.
    Der arme Junge. Der wollte doch am Wochenende eine Fahrradtour mit seinem Freund machen.
    Dann muss ich das eben alleine machen!, schrie mein Vater. Fahrradtour! Sonst noch was! Verdammt noch mal, man muss ja hier anscheinend alles selbst machen, kann sich auf niemanden verlassen. Wenn man schon einmal, ein einziges Mal etwas will, was dem Wohl der Familie dient, dann ist man verlassen, es ist zum Kotzen mit euch!
    Wenn sich mein Vater unkontrolliert in eine Wut hin-einmanövrierte, weil nun alle Geschicke der Welt und dieser Familie an ihm hingen, erzeugte

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