Auf Amerika
auf die Hühner, und die Kater gehen auf die Katzen, und sie machen einen rechten Lärm dabei. Die Hunde machen es und auch die Vögel, nach denen man es bei uns benennt. Mein Vater macht es, glaube ich, mit meiner Mutter, und mit der Wirtin aus Hetzenbach macht er es auch, am Samstagabend, zwischendrin, wenn er drüben mit den Bauern Geschäftliches zu besprechen hat. Der Lammer macht es mit der Lammerin, glaube ich, und der Kranz-Toni macht es mit der Müllner-Lisa, seiner Verlobten, oben am Wald auf der Wiese. Der Benno und ich haben sie beobachtet dabei. Einige Burschen und ältere Bauern machen es mit der Frieda, die es mit vielen macht, in der Scheune vom Stadler, wo die Frieda Magd ist. In der Scheune können wir nichts sehen, nur hören, wenn die Frieda zu einem sagt, dass er schneller machen soll, weil ja andere auch noch drankommen wollen. Der Hochwürden macht es angeblich mit einer Frau in der Stadt. Der Lehrer macht es mit der Frau Lehrer und hat deswegen fünf Kinder. Die Frieda hat auch davon ein Kind gekriegt, von wem, weiß sie nicht, das verkauft sie an Amerikaner.
Ob mein Vater meine Mutter und die Wirtin von Hetzenbach, der Lehrer seine Frau, die Frieda alle die Männer liebt, weiß ich nicht. Ich liebe die Rosa, die in der Schule vor mir sitzt und nicht nur die schönsten Hakelstecken gemalt hat, sondern auch die schönste Schrift von allen hat. Ich sitze hinter ihr, schaue auf die gekräuselten Haare zwischen ihren Zöpfen, die zarte Haut, die so gut riecht, was ich mir zumindest einbilde. Ich möchte sie dort küssen, einmal wenigstens, aber ich traue mich nicht. Manchmal spiele ich mit dem Griffel, berühre die Haare. Das merkt sie in ihrem Eifer des Schreibens gar nicht, die Rosa. Ob sie mich auch liebt, weiß ich nicht. Sie fragen, das traue ich mich nicht. Ich verstehe noch nichts von der Liebe. Ich glaube aber, dass das, was ich für die Rosa und die Lammermutter und den Lammer-Sepp und den Veit und den Messmer-Ludwig verspüre, diese Freude, wenn ich in ihrer Nähe bin, dass das eventuell Liebe ist. Das heißt, dass ich meinen Vater nicht liebe, weil ich nicht gerne in seiner Nähe bin. Meine Mutter liebe ich manchmal schon. Meistens liebe ich sie, wenn sie weint. Sie weint, wenn mein Vater sie anschreit, die Türen knallt und weggeht, in die Wirtschaft oder zum Hochwürden zum Schnapssaufen oder zur Wirtin von Hetzenbach. Wenn sie dann nicht mehr weint, dann redet meine Mutter vor sich hin, sagt das, was sie sagt, gar nicht zu mir. Wie schön das Leben in ihrer Jugend in Berlin war, sagt sie, was für eine Sehnsucht sie danach hat und wie sie das Dorf hasst, und dass sie irgendwann ganz sicher wegrennt, was sie längst getan hätte, wenn ich nicht wäre. Ich denke dann, sie könnte doch gehen und mich mitnehmen. Aber dann müsste ich ja von hier weg, nach Berlin, in eine Stadt. Nein, ich bin schon froh, dass meine Mutter da bleibt, denn ich hasse das Dorf nicht, und Berlin kenne ich ja nur von den Besuchen bei der Großmutter, Berlin mit den vielen Tanten und Onkeln, die gar nicht mit uns verwandt sind.
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Als wir gerade in das Haus gezogen waren, die Schuhschachtel, von der ich keine Fotografie habe, wurde meine Mutter krank. Sie musste ins Krankenhaus zur Operation und danach drei Monate auf eine Kur am Bodensee. Mein Vater sagte, dass er sich um mich nicht kümmern könne. Ich kann doch beim Lammer wohnen in der Zeit, sagte ich. Das lehnte mein Vater ab, und er brachte mich in die Kreisstadt, wo ich für drei Monate im Waisenhaus bei Klosterschwestern leben musste.
Die Zeit geht auch vorbei, sagte der Veit, bei dem ich mich ausweinte. Die Lammermutter sagte: Im Kloster drin, da machen sie dich katholisch; ist auch das Beste für dich. Weihnachten bist du wieder da, versprach mir mein Vater, und Mutter auch, aber jetzt stell dich nicht so an.
An einem frühen Sonntagmorgen ging ich hinter dem Vater her durchs Moos zum Bahnhof, sechs Kilometer, die Strecke, die ich ein paar Jahre später täglich mit dem Fahrrad fahren musste, um zum Gymnasium zu kommen. Mein Vater konnte angeblich wegen einer Kriegsverletzung nicht Fahrrad fahren, also gingen wir zu Fuß. Er ging schnell, wie immer, und ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Er trug einen Koffer mit meinen Sachen. Ich weinte. Ich wollte nicht ins Waisenhaus. Drei Monate nicht hinter der Rosa sitzen, das konnte ich nicht. Drei Monate den Veit, die Schreinerei, das Paradies nicht sehen, nein, das ging nicht. Was sollte ich im Waisenhaus?
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