Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
Durchschläge mit Blaupapier. Das führte dazu, dass die Zahl der offenen Verfahren in ihrem Dezernat immer größer wurde und sie sich schließlich eingestehen musste, dass sie mit der täglich in ihr Zimmer strömenden Aktenflut überfordert war. Die anderen Staatsanwälte der Abteilung mussten laufend einspringen und Frau Eggers unterstützen. Dies führte zu Spannungen. Schließlich entschied die neue Abteilungsleiterin, dass Frau Eggers ausschließlich für die Asservatenverfügungen (und zwar für die gesamte Abteilung) zuständig war. Sie kommunizierte von da ab nur noch mit der Asservatenstelle und beantwortete Schreiben von Geschädigten oder Beschuldigten, die irgendwelche beschlagnahmten Gegenstände zurückhaben wollten. Eine sehr einseitige und trostlose Tätigkeit. Auf Dauer zermürbend. Fieberhaft suchte die Behördenleitung nach einer Lösung, um die Abteilung zu entlasten und Frau Eggers, einer altgedienten Staatsanwältin, eine annehmbare Tätigkeit zu verschaffen, die es ihr auch ermöglichte, ihr Gesicht zu wahren. Schließlich hatte man die gute Idee, Frau Eggers aus der Abteilung herauszunehmen und ihr ein halbes Dezernat zuzuteilen. Man war der Ansicht, dass Frau Eggers dies schaffen konnte. Voraussetzung war natürlich, dass in der neuen Abteilung ein angenehmes Arbeitsklima herrschte, sie also von einem |142| besonders netten und rücksichtsvollen Kollegen geleitet wurde. Mit zwei Worten: Oberstaatsanwalt Berndt!
Das zweite Ereignis betraf die Vertretung des Dezernats von Gerlinde. Ende Juni sollten die Schleuserverfahren ja »voraussichtlich« abgeschlossen sein. Mona und ich überlegten schon, wie wir uns bei Gerlinde unauffällig nach dem Stand der Dinge erkundigen konnten, als Gerlinde plötzlich im Café Jura meinte, dass »irgendetwas« mit ihrem Rücken »nicht in Ordnung« sei. Eine Stunde später verabschiedete sie sich und ging aufgrund erheblicher Schmerzen zum Arzt. Zwei Tage darauf bekamen wir Gewissheit. Gerlinde hatte sich einen Bandscheibenvorfall eingehandelt, als sie die Kiste eines Schleuserverfahrens, voll gepackt mit Aktenordnern, von dem Schrank in ihrem Zimmer herunterholte. Sie war den ganzen Juli krankgeschrieben. Mona rief wehklagend in die Kaffeerunde: »Ach, hätte Gerlinde bloß was gesagt. Ich hätte ihr bei der Kiste doch geholfen.« Alle mussten lachen. Mona war zwar drahtig und quirlig, aber nur 1,65 m groß. Jörg meinte grinsend, Mona solle froh sein, dass sie ihren Bügel mit der Robe allein in ihrem Schrank aufhängen könne.
»Noch einen Monat vertreten«, nörgelte ich. »Wieso einen Monat?«, fragte Jörg. »Weißt du nicht, dass Gerlinde ab 1. August fünf Wochen Urlaub hat?« Jens schüttelte den Kopf und meinte, vor September gehe es also mit den Schleuserverfahren nicht weiter. Mona und ich schauten hilfesuchend zu Oberstaatsanwalt Berndt, der aber nur stirnrunzelnd das Zimmer verließ.
Zwei Stunden später war er jedoch wieder lächelnd bei mir im Zimmer. Frau Eggers würde die Vertretung eines |143| halben Dezernats von Gerlinde übernehmen. Dann musste ich nur noch ein Viertel ihres Dezernats vertreten. Gleiches galt für Mona. Eine wirklich gute Lösung. Mit der dauerhaften Vertretung in diesem Umfang konnte ich leben.
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Hinter den Mauern von Moabit
S inan war in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit eingetroffen. Der Transport von Chemnitz über eine Haftanstalt in Halle nach Berlin hatte zehn Tage gedauert. Die Überführung war sehr nervig gewesen, da es aufgrund der kurzen Aufenthalte weder in Chemnitz noch in Halle die Möglichkeit gegeben hatte, ihn in den normalen Rhythmus der Haftanstalt einzupassen. Eine nochmalige Chance zur Flucht hatte sich ihm natürlich nicht eröffnet. Er wurde gut bewacht. Sobald er seine Zelle oder das Transportfahrzeug verlassen musste, waren seine Arme mit Handschellen gefesselt und über eine Kette mit einer Fußfessel verbunden worden. Außerdem hielten ihn dann die Wärter fest.
Er kam in eine kleine Zelle, die zu seinem Erstaunen auf drei Personen ausgelegt war. Wie groß war sie? Er schätzte sie auf vielleicht 12 bis 13 m 2 . Alles war sehr eng, zumal sich in der Zelle noch der Toilettenbereich mit WC und Waschbecken befand, der nur durch eine spanische Wand provisorisch vom Rest der Zelle abgetrennt war. Und diesen Platz musste er sich mit zwei Leuten teilen. Das war ja wie im Affenhaus! Sinan verfluchte innerlich das Ermittlungsverfahren in Berlin. Zwar wäre er auch ohne
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