Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
rechtstreu verhalten will. Vielfach geht es um die Frage, ob der Angeklagte wirklich ins Gefängnis muss oder noch eine letztmalige Chance durch eine Strafaussetzung zur Bewährung erhalten kann. Dies ist nur möglich, wenn die Freiheitsstrafe nicht mehr als zwei Jahre beträgt. Es wird dann eine Bewährungszeit von bis zu fünf Jahren festgesetzt. Kann man dem Angeklagten in dieser Zeit keine weiteren Straftaten nachweisen, muss er die Freiheitsstrafe nicht absitzen. Sie wird ihm erlassen. Für viele Angeklagte ist die Frage: Bewährung ja oder nein? von existenzieller Bedeutung. Das ist auch verständlich, wenn man an den möglichen Verlust des Arbeitsplatzes oder an Familienangehörige denkt. Ich erlebte, wie die Angeklagten diesbezüglich in der Berufungsverhandlung beim Gericht immer auf ein offenes Ohr stießen. Mancher Angeklagte wollte diese »letztmalige Chance« aber auch zwei- oder dreimal haben. Dies war dann aber meist nicht von Erfolg gekrönt. Die Verteidigung präsentierte häufig positive Berichte der Bewährungshelfer oder die Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses des Angeklagten, der vorher vielleicht arbeitslos gewesen war. Bei genauerer Überprüfung stellte sich dieses Arbeitsverhältnis dann oft als unverbindliches Vorstellungsgespräch dar, das manchmal auch noch gar nicht stattgefunden hatte, sondern vom Angeklagten nur »geplant« war. In einigen Fällen bekamen die Angeklagten dann ganz unverblümt vom Gericht zu hören, dass man |152| einfach nicht genug Fantasie habe, um sich eine straffreie Zukunft des Wiederholungstäters in einer Bewährungszeit vorzustellen.
Aber auch der Staatsanwalt kann auf fehlendes Verständnis des Gerichts stoßen, wenn er sich nach einem Freispruch in der ersten Instanz in der Berufungsverhandlung eine Verurteilung des Angeklagten erhofft. Maja musste mittlerweile auch als Staatsanwältin an Hauptverhandlungen teilnehmen. Mitte Juli kam sie einmal völlig geknickt aus einer Berufungsverhandlung. Es ging um versuchten Versicherungsbetrug und der Vorsitzende der Berufungskammer hatte ihr ganz schön zugesetzt. Die Angeklagten hatten vor dem Zivilgericht Schadensersatz für einen Autounfall eingeklagt. Die Richterin im Zivilverfahren ließ sich zunächst den Unfallhergang schildern und nahm dies ins Sitzungsprotokoll auf. Dabei mussten die Kläger mit Spielzeugautos den Unfallhergang nachstellen. Erst dann holte die Richterin ein Sachverständigengutachten zur Rekonstruktion des Unfalls ein. Dabei kam heraus, dass der Unfall sich nicht wie geschildert abgespielt haben konnte. Die Richterin wies die Zivilklage ab. Da es aus ihrer Sicht weitere Indizien gab, schickte sie die Akte zur Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf versuchten Versicherungsbetrug. In der ersten Instanz gab es einen Freispruch. Schon als Maja den Sitzungssaal des Berufungsgerichts betrat, wurde sie vom Vorsitzenden gefragt, wer denn diese »komische« Anklage verfasst habe. Es sei doch klar, dass die Angeklagten vom Polizeibeamten am Unfallort und dann auch bei der mündlichen Verhandlung vor dem Zivilgericht falsch verstanden worden seien. Maja erwiderte vorsichtig, dass sich für sie aus der Ermittlungsakte |153| dieses Versehen nicht so klar ergäbe. Man müsse dann wohl die Zivilrichterin als Zeugin hören. Der Vorsitzende erwiderte ungehalten, das würde doch nichts bringen. Die beiden Verteidiger stöhnten und meinten, dass das alles Quatsch sei. Maja fühlte sich plötzlich ziemlich alleine. Als dann auch der Polizeibeamte nicht erschien, der die »falsch verstandenen« Angaben am Unfallort aufgenommen hatte, meinte der Vorsitzende, dass man auf den Zeugen doch auch verzichten könne. Nun aber protestierte Maja und beantragte zudem, zu einem neuen Termin sowohl den Polizeibeamten als auch die Zivilrichterin zu laden. Der Vorsitzende und die Verteidiger waren verärgert. Schließlich kam der Vorsitzende dem Wunsch der Staatsanwaltschaft jedoch nach. Maja fühlte sich etwas besser. So großer »Quatsch« schien das mit den Zeugen doch nicht zu sein. Insgesamt war sie aber ziemlich fertig.
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Der neue Zellennachbar
E s war früher Nachmittag. Rainer und Sinan lagen träge auf ihren Betten. Rainer las einen Roman und Sinan hatte eine Zeitung aufgeschlagen. Es war ziemlich warm und sie unterhielten sich nicht viel. Die Stimmung war gereizt. Um die Hitze zu ertragen, hatten sie stets die Fenster zum Gefängnishof geöffnet. Der Nachteil war, dass ständig irgendein Idiot
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