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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pragst
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Arbeiten hatte mit der Eigenversorgung zu tun (Hausreinigung, Essensausgabe usw.). Die Stellen im handwerklichen Bereich, es gab u.   a. eine Malerei, eine Gärtnerei, eine Kfz-Werkstatt, setzten oft eine entsprechende Qualifikation voraus. Die Arbeiten konnten grundsätzlich auch von Untersuchungshäftlingen wahrgenommen werden. Dafür mussten sie aber besondere Genehmigungen einholen.
    Außerdem wurde eine sozialpädagogische Betreuung angeboten. An bestimmten Tagen konnte man sich von ehrenamtlichen Personen beraten lassen, etwa über straf- oder ausländerrechtliche Fragen. Schließlich gab es auch kulturelle Veranstaltungen wie Theatervorführungen oder Lesungen. Aber auch hier benötigten Untersuchungshäftlinge eine richterliche oder staatsanwaltschaftliche Genehmigung. |148| Der Prozess gegen Sinan würde in vier Wochen beginnen. Nächsten Dienstag hatte Sinan einen Termin mit seinem Pflichtverteidiger aus Chemnitz, der ihm auf seinen Wunsch hin auch in dem Berliner Verfahren beigeordnet worden war. Dann würden sie über den anstehenden Prozess sprechen.

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Neue Chance – neues Glück? Berufungen in Strafsachen
    D er Juli kam und mit ihm gut drei Wochen Sommerhitze. Im Altbau des Kriminalgerichts Moabit war das aber kein Problem. Selbst bei Temperaturen von weit über dreißig Grad blieb es in unseren Räumen stets angenehm kühl. In den Anbauten sah es da teilweise ganz anders aus. Insbesondere in den Sitzungssälen im C-Bau , der aus den fünfziger Jahren stammte, herrschte eine flimmernde Hitze. Ab und an musste ich dorthin zu Sitzungsvertretungen. Es war eine Qual für alle Beteiligten. Bei der kleinsten Bewegung floss der Schweiß in Strömen. Richter und Verteidiger hatten wie ich ihre schwarzen Roben an, unter denen sich die heiße Luft staute. Niemand trug Shorts darunter oder Sandalen, aber alle hätten es gern getan. Mich hätte es nicht gewundert, wenn aus der verkleideten Richterbank ein Plätschern zu hören gewesen wäre. Vielleicht ein kaltes Fußbad. Irgendjemand hätte dann ab und zu (im Sinne der Erhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege) Eiswürfel zum Nachfüllen gebracht. Schließlich muss ein Richter zweimal die Woche den ganzen Tag in diesem Sitzungssaal verbringen.
    Mona und ich waren jetzt nicht mehr die Einzigen, die Akten eines Kollegen bearbeiten mussten. Es war Haupturlaubszeit, sodass in unserer Abteilung stets mindestens zwei weitere Staatsanwälte fehlten. Einen Rückgang der |150| eingehenden neuen Ermittlungsverfahren konnte ich hingegen nicht feststellen. Bei der Begehung von Straftaten gibt es offensichtlich kein Sommerloch. Trotzdem kam ich mit der Arbeitsbelastung in meinem Dezernat jetzt ganz gut zurecht. Das lag zum einen natürlich daran, dass ich nur noch ein Viertel des Dezernats von Gerlinde vertreten musste. Zum anderen kannte ich mittlerweile den Großteil meiner offenen Verfahren. Ältere Akten, die nach längeren Ermittlungen von der Polizei wieder zur Staatsanwaltschaft zurückgeschickt wurden, waren mir eben schon vertraut. Ich musste nicht nochmals ganz von vorn anfangen zu lesen. Das war am Anfang anders gewesen. Da kannte ich schließlich keine einzige Akte.
     
    In dieser Zeit hatte ich häufig Sitzungsvertretungen in Berufungsverhandlungen zu übernehmen. Berufungen gibt es im Strafrecht nur gegen Entscheidungen des Amtsgerichts. Bei den schweren Fällen, die vor dem Landgericht verhandelt werden, ist nur eine Revision vor dem Bundesgerichtshof möglich. Die Sitzungsvertretung in den Berufungsverhandlungen ist häufig unspektakulär. Der Ablauf ist in gewisser Weise vorgegeben. Schließlich liegt bereits eine Entscheidung der ersten Instanz vor. Dort ist der Prozessstoff, meist im Rahmen einer Beweisaufnahme, schon einmal untersucht worden. Ist in der ersten Instanz eine Verurteilung erfolgt, geht es der Verteidigung meist nicht darum, einen Freispruch zu erreichen. Vielmehr ist sie auf eine mildere Strafe aus, um das »Schlimmste« zu verhindern. Reichten die Beweismittel in der ersten Instanz für eine Verurteilung aus, muss der Angeklagte dies auch in der Berufung fürchten. Also wird jetzt häufig die Strategie geändert. Es |151| kommt nun oft zu Geständnissen, wo es in der ersten Instanz noch empörte Rufe und Unschuldsbeteuerungen gab. Mit einem Geständnis kann man in der Berufung nicht selten eine Strafmilderung erreichen. Denn der Angeklagte bringt damit zum Ausdruck, dass er sich von den Taten distanziert hat und sich zukünftig

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