Auf Bewährung
der Hirnstamm, und der Tod tritt sofort ein.«
Beth deutete auf Dianes Leiche. »Diese Lady ist im Kühlschrank ihrer Kanzlei gefunden worden, und das zwei Stunden nachdem sie durch die Bürotür gegangen ist. Sie hat weder Rennen gefahren, noch ist sie von einem Gebäude gestürzt.«
Der Gerichtsmediziner deutete noch einmal auf den Nacken, wo eine deutliche Verfärbung zu erkennen war. »Dafür war ein Schlag genau hierhin verantwortlich. Dass man sie anschließend in einen Kühlschrank gestopft hat, war zwar nicht gerade hilfreich für mich, aber die Verletzungen hier an dieser Stelle sind eindeutig vor ihrem Tod entstanden.«
»Ein Schlag? Mit was, Doc?«
»Nun, das ist das Merkwürdige. Ich habe keinerlei Spuren an der Wunde gefunden: keine Haare, keine Fasern, kein Plastik, kein Metall oder sonst irgendetwas.«
»Mit was ist sie dann umgebracht worden?«
»Wenn ich raten müsste, würde ich sagen: mit einem Tritt.«
»Mit einem Tritt?«
Cassell deutete auf die Verletzungen in Tollivers Gesicht. »Es könnte folgendermaßen abgelaufen sein: Sie wird auf dem Boden festgehalten, Gesicht und Kinn aufs Linoleum gedrückt. Das erklärt sowohl die Hämatome im Gesicht als auch die Schnittwunde am Kinn. Dann hat irgendjemand – vermutlich ein großer, starker Mann – ihr mit aller Kraft ins Genick getreten. Hätte der Täter eine Latte, ein Rohr oder einen Hammer benutzt, dann wäre ein Muster zu sehen, aber wie Sie erkennen können, ist das nicht der Fall. Ein menschlicher Fuß ist hingegen flexibel und hinterlässt keinen prägnanten Abdruck. Selbst eine Faust hätte eine markante Spur hinterlassen, einen Abdruck der Knöchel oder des Handtellers zum Beispiel. Dazu kommt, dass man in einen Tritt weit mehr Kraft legen kann als in einen Schlag.«
»Ein Fuß also ... hm ... aber hätte der Schuh keinen Abdruck hinterlassen?«
»Möglicherweise ja, obwohl die menschliche Haut in diesem Fall nicht so viel enthüllt wie nasses Gras oder Erde. Allerdings könnte ich vielleicht ein Muster zuordnen, wenn Sie mir einen Schuh, eine Socke oder auch einen Fuß besorgen, mit dem ich es vergleichen kann.«
»Okay, aber haben Sie je erlebt, dass nach einem unbewaffneten Angriff der Hirnstamm durchtrennt war?«
»Nur einmal, doch da war der Angreifer kein Mensch.«
Beth schaute ihn neugierig an. »Kein Mensch?«
»Vor einigen Jahren habe ich im Yellowstone Nationalpark Urlaub gemacht. Unglücklicherweise ist ausgerechnet zu dieser Zeit ein Camper ums Leben gekommen, und man hat mich gebeten, die Autopsie vorzunehmen.«
»Und was hat den Camper umgebracht?«
»Ein Grizzlybär, das vermutlich gefährlichste Landraubtier.« Cassell lächelte Beth an. »Abgesehen vom Menschen natürlich, wie wir beide nur allzu gut wissen. Aber wie auch immer ... der unglückliche Camper hat einen ausgewachsenen männlichen Bären dabei überrascht, wie er sich gerade über einen Kadaver hergemacht hat.«
»Aber in Georgetown gibt es keine Grizzlys, Doc.«
»Nein, aber mindestens einen Menschen mit schier unglaublicher Kraft und Geschick. Diese Verletzung ist so präzise, dass das unmöglich Zufall sein kann.«
»War sie bei dem tödlichen Tritt bereits bewusstlos, oder hat sie jemand auf dem Boden festgehalten? Wenn es nur ein Angreifer war, muss man doch davon ausgehen, dass sie sich gewehrt hat, und dann müssten wir doch was unter ihren Fingernägeln finden.«
»Ihre Fingernägel sind sauber.«
»Stand sie unter Drogen?«
»Die Laborergebnisse sind noch nicht da.«
Beth betrachtete die Leiche. »Der Täter könnte auch eine Waffe gehabt und Tolliver befohlen haben, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen. Dann hat er sie umgebracht. Das könnte auch einer allein.«
»Stimmt.«
»Okay, was sonst noch?«
»Wir haben uns ihre Kleidung angesehen und ein paar fremde Fasern gefunden.«
»Von ihrem Angreifer?«
»Möglich. Es gibt da auch ein paar seltsame Flecken auf ihrer Kleidung.«
»Was denn für Flecken?«
»Wie Fett oder Dreck. Wir analysieren das noch.«
»Keine Reste von irgendetwas aus dem Kühlschrank?«
»Was da drin war, wissen wir natürlich auch, und nein, die Flecken stammen nicht da her.«
»Es ist der Beginn des Arbeitstages«, überlegte Beth laut. »Sie geht von der Garage in ihr Büro, und sie bekommt Flecken auf die Kleidung. Vom Täter?«
»Vermutlich.« Cassell schüttelte den Kopf. »Aber das ist alles noch so verwirrend. Dabei habe ich zehn Jahre lang als Gerichtsmediziner in der
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