Auf Bewährung
laufen. Ungelenk landete sie auf dem Teppich und blieb dort liegen.
Blind Man, der direkt neben der Stelle geschlafen hatte, wo Mace aufgeschlagen war, leckte ihr das Gesicht und winselte ihr ins Ohr.
»Schon okay, Blind Man. Alles in Ordnung.«
Mace wälzte sich herum, setzte sich auf und kroch in die Ecke. Dort rollte sie sich zu einem Ball zusammen, ballte die Fäuste und starrte ins Dunkel. Ihr Atem ging schwer und unregelmäßig. Blind Man lag vor ihr in der Dunkelheit, und vermutlich roch er mit seiner rosa Nase jede noch so feine Nuance ihrer Angst.
Eine Stunde später kauerte Mace noch immer dort, den Rücken an die Wand gedrückt, die ihre Schwester extra für sie in beruhigendem Blau gestrichen hatte. Nur dachte sie jetzt nicht mehr an Juanita oder die messerschwingende Rose. Die Bilder, die sie vor ihrem geistigen Auge sah, waren Bilder von ihr selbst, voll mit Meth. In die Ecke gekauert wie jetzt auch, durchlebte sie eine Scheiße, wie sie es sich niemals auch nur im Entferntesten hätte vorstellen können.
Mace hatte nie einen von ihnen gesehen, von den Gangbangern, die sie in einer dunklen Gasse geschnappt hatten, von wo aus sie einen Drogenumschlagplatz in Six-D observiert hatte. Nachdem sie ihr drei Tage lang mehrmals das Zeug injiziert hatten, hatte sie sogar ihren eigenen Namen vergessen. Das Nächste, woran sie sich vage erinnerte, war, wie sie mit einer Waffe in der Hand aus irgendeinem Wagen stieg, in unterschiedliche Läden ging und sich nahm, was ihr nicht gehörte.
Einmal war geschossen worden. Mace erinnerte sich daran, den Abzug instinktiv gedrückt zu haben, nur dass keine Kugel aus dem Lauf gekommen war. Wie sich herausstellte, war ihre Waffe nicht geladen, und sie war es auch nie gewesen. Schließlich wurde Mace mit einer ungeladenen Sig und genug Beweisen verhaftet, um sie für Jahre hinter Gitter zu bringen, während der Rest ihrer »Gang« passenderweise verschwunden war.
So war die kleine Schwester der Polizeichefin von D. C., bis oben hin vollgepumpt mit Meth, wegen bewaffneten Raubüberfalls verhaftet worden. Einige Medien hatten Mace die Patty Hearst des 21. Jahrhunderts getauft. Die Verhaftung, der Prozess, das Urteil und das Berufungsverfahren, all das hatte Mace nur verschwommen wahrgenommen. Mona hatte Blut sehen wollen, und diese Gerichtshexe hatte tatsächlich zwanzig Jahre für Mace verlangt, und das in einem Hochsicherheitsknast tausend Meilen von D. C. entfernt. Nachdrücklich hatte sie argumentiert, Mace sei wohl zu tief undercover gewesen, sodass sie sich irgendwann auf die dunkle Seite der Macht geschlagen hatte. Mace erinnerte sich daran, dass sie im Gerichtssaal gesessen und zugesehen hatte, wie die Gift und Galle spuckende Staatsanwältin mit dem Finger auf sie gezeigt und verlangt hatte, dieses »Tier« müsse für alle Zeiten weggesperrt werden. In Gedanken hatte Mace die Hexe schon hundertmal umgebracht. Doch als sie schließlich zu vierundzwanzig Monaten verurteilt worden war, hatten sich alle auf Mace und ihre Schwester gestürzt.
Als Mace in Handschellen am Gefängnis eingetroffen war, wimmelte es dort bereits von Übertragungswagen. Offenbar genoss es der Direktor, im Rampenlicht zu stehen, denn er eskortierte Mace persönlich zwischen den Reportern und der feindseligen Menge hindurch. Mace wurde mit allem möglichen Dreck beworfen und musste sich Beleidigungen anhören, die an Vulgarität kaum zu übertreffen waren. Doch sie schlurfte einfach immer weiter, den Kopf so hoch erhoben, wie sie konnte, und den Blick stur geradeaus auf die Stahltüren ihres neuen Heims für die nächsten zwei Jahre gerichtet. Doch dann stiegen der sonst so knallharten Mace Tränen in die Augen, und ihre Lippen zitterten; das Ganze ging ihr anscheinend doch mehr an die Nieren, als sie sich eingestehen wollte.
Dann teilte sich die Menge plötzlich, und eine große Gestalt in voller Ausgehuniform und mit vier Sternen auf der Schulter ging hindurch, stellte sich rechts neben Mace und begleitete sie den Rest des Wegs. Der verblüffte Gesichtsausdruck des Direktors verriet, dass diese Entwicklung vollkommen unerwartet war. Die Menschen hörten auf zu schreien, und es warf auch niemand mehr etwas auf Mace. Nicht solange Elizabeth Perry, die Polizeichefin, mit Waffe und Dienstmarke neben ihrer Schwester ging. Das Gesicht wie aus Stein gemeißelt starrte sie die Menge an und zwang sie so zum Schweigen. Und dieses Bild, dieses letzte Bild ihrer Schwester, bevor sie dieses
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