Auf das Leben
eine Schwester den Kopf herein. »Mr Shapiro ist hier«, sagte sie, und ich drehte mich um und stand auf, um mich vorzustellen.
Hinter mir hörte ich eine Stimme etwas sagen, was ich erst registrierte, als ich die Hand des Mannes geschüttelt hatte und mich umwandte - zu dem leeren Stuhl.
Was hatte ich gehört? Was hatte ich gehört? Was hatte ich gehört?
»Du lieber Himmel, nein. Ich bin sein Schutzengel.«
In Rauch aufgehen
»Warum können nur jüdische Nasen noch immer den Rauch riechen, Rabbi?«
Eine solche Frage hatte ich nicht erwartet. Mr Rosenblum war alt und krank, und ich war zu einem Höflichkeitsbesuch gekommen, ohne eine wirkliche Vorstellung davon zu haben, was mich erwarten würde. Damit hatte ich jedoch nicht gerechnet.
»Was meinen Sie?«, fragte ich zögernd.
»Nun ja, es gibt so viele Leute, die wohl vergessen haben, was passiert ist. Die Schornsteine. Die Krematorien. Die Asche. Aber ich kann das nicht, Rabbi.«
Eine kurze Stille hilft manchmal, sich zu überlegen, was als Nächstes kommen wird. Ich ließ die Stille dichter werden.
»Wenn ich gehe, Rabbi - unterbrechen Sie mich nicht, Sie wissen so gut wie ich, dass wir alle gehen müssen, und ich nehme an, dass ich vor Ihnen gehe -, dann möchte ich verbrannt werden. Werden Sie mir helfen, Rabbi?«
»Helfen? Was meinen Sie?«
»Nun, Rabbi Goldman, das war mein Rabbi, als ich mich der schul anschloss - sagte, er würde sich darum kümmern. Aber dann ist er weggegangen. Dann kam Rabbi Boruch und dann Rabbi Wilensky, und beide sagten, sie würden es nicht machen. Das hat mir Sorgen bereitet. Und jetzt sind Sie da. Vielleicht bleibe ich nicht mehr lange hier …«
Ich hustete, aber er sprach weiter. »Unterbrechen Sie mich nicht, Rabbi, ich bin jetzt ein alter Mann, und ich sage, was ich denke. Die Sache ist die: Wenn ich gehe, möchte ich verbrannt werden. Helfen Sie mir? Ich meine, werden Sie den Gottesdienst leiten?«
Ich entspannte mich ein wenig. »Ja«, antwortete ich. »Ich leite Gottesdienste bei Verbrennungen. Ich habe das schon ein paarmal gemacht. Allerdings vor allem bei Nichtmitgliedern. Aber das sollte kein Problem sein.«
»Gut.« Mr Rosenblums Stimme war rau, er hustete Schleim, aber er hatte eine kleine Plastiktasse und eine Papierserviette in der Hand und wischte sich das Kinn ab. »Ich bin erleichtert, das zu hören, Rabbi. Ich weiß, manche Leute sind dagegen, aber ich möchte es so. Mir ist es wichtig.«
Wir saßen in der Empfangshalle des jüdischen Altersheims. Ehrlich gesagt, ist die Empfangshalle eines solchen Orts nicht gerade geeignet, um sich bequem zu räkeln - eher für steifes Anlehnen oder starres Beobachten oder unelegantes Schnarchen …
Viele Juden haben einen Horror vor dem Verbrennen. Es gibt die traditionelle Vorstellung, dass eine Person, deren toter Körper nicht vollständig ist, nie die Chance hat, aufzuerstehen, wenn der Messias endlich kommt. Es muss zumindest noch ein ganz bestimmtes Stückchen Knochen geben, das Steißbein unten an der Wirbelsäule, sodass Gott - der ja eigentlich Schöpfer aller Dinge aus dem Nichts ist - die Möglichkeit hat, diejenige Person neu zu erschaffen, die man einst war. Wie so viele theologische Ideen hört sich das ein wenig seltsam an, bizarr und unmöglich wird es aber erst, wenn man sich ein paar kritische Gedanken dazu macht oder versucht, es mit zwei oder drei anderen Ideen in ein System zu bringen. Juden waren immer schlecht in systematischer Theologie. Wir - das heißt, unsere Gelehrten - haben es immer vorgezogen, uns zu sagen, was wir tun sollen, nicht, was wir glauben sollen. Deshalb jedenfalls möchten Menschen nicht in Asche verwandelt werden, sie möchten ein schönes Grab und einen Stein aus Granit oder Marmor, der davon zeugt, dass es sie gegeben hat.
Und dennoch sagt uns der gesunde Menschenverstand, diese seltenste Art von Verstand, dass der Körper im Lauf der Zeit verschwindet und sich zurückverwandelt zu Staub, aus dem wir, wie die Bibel sagt, gemacht wurden. Wo liegt also das Problem, wenn man diesen Prozess etwas beschleunigt? Besonders in einer Zeit, in der die Erde überfüllt ist und Beerdigungen viel Geld kosten, halten viele Leute es für egoistisch, ein Stückchen Erde für die Ewigkeit zu beanspruchen. Sogar die Stadtverwaltung, die Gräber nach zwanzig Jahren wieder auflösen lässt, scheint anzunehmen, dass das reiche. Es sei denn, die Familie ist bereit, für weitere zwanzig Jahre zu bezahlen.
»Mr Rosenblum«, begann ich
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